Lieber Uli Ormanns, vielen Dank, dass du dir in dieser – wie du schriebst – „wirbeligen“ Zeit ein paar Minuten nimmst, uns ein paar Fragen zu beantworten. Wie ist das Weihnachtsgeschäft denn angelaufen? Spürt ihr in der Agnes-Buchhandlung bereits Auswirkungen durch die angepassten Corona-Regeln oder seid ihr durch die letzten anderthalb Jahre so eingespielt, dass ihr auf alles schnell reagieren könnt?
Uli Ormanns: Wie im letzten Jahr hat das Weihnachtsgeschäft früher begonnen. Schon seit Mitte November kommen Kunden, die durch Meldungen, es gäbe Lieferschwierigkeiten, oder wegen eines drohenden Lockdowns, jetzt schon alles zusammensammeln. Früher war es eigentlich immer so, dass sich das Kundenaufkommen stetig bis zum 24. Dezember steigerte. Das war für den Einkauf und den Weihnachtsmitarbeiterplan einfacher. Ich glaube aber, dass wir seit Corona anders wahrgenommen werden, viele haben gesehen, welch große Vielfalt auch der kleine Buchhändler bieten kann. Dadurch ist das Bestellvolumen wesentlich größer geworden. Wir sind über die Buchgrossisten in der Lage über das Buchangebot hinaus, Cd´s + Filme, Spiele und vieles mehr meist bis zum nächsten Tag zu besorgen. Das sorgt – wegen der geringen Margen – zwar nicht für Rendite, aber für eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Nebenbei ist es auch eine relativ ökologische Variante, da wir die Ware gesammelt in wiederverwendbaren Wannen über den Büchersammelverkehr geliefert bekommen.
Das Umsetzen der Coronaverordnungen ist immer ein Kraftakt gewesen. Es hat uns etliche Abend-Nachtschichten gekostet, auch weil vieles immer unklar kommuniziert wurde. Das beginnt schon mit dem Zeitpunkt. Aktuell: Nach der letzten Ministerpräsidentenrunde am 02. Dezember habe ich es so verstanden, dass 2G ab sofort gilt. Also habe ich am Abend Plakate und für draußen unsere Tafel beschrieben, unsere Social Media Kanäle und die Website gefüttert und eine kleine Theke für den Eingang gebaut. Am nächsten Morgen haben wir die Kunden empfangen und mit einer App ihren Status überprüft, uns ihre Ausweise zeigen lassen. Plötzlich hieß es, dass es erst ab dem 08.12. gilt, dann kam die Landesverordnung, die besagt: 2G für den Einzelhandel ab Samstag, den 04.12. und unglaublich: der Buchhandel zählt zu den Geschäften des täglichen Bedarfs, muss also nicht kontrollieren. Das hat bei uns erst mal Unglauben ausgelöst, da wir beim zweiten Lockdown, der letztes Jahr am 16. Dezember begonnen hatte, von dieser Regelung ausgenommen waren. Beinahe alle Buchhandlungen in Deutschland durften ihre Ladengeschäfte offen alten, nur wir in NRW nicht. Irgendwann war es sogar nur noch in Köln nicht möglich. Das ging bis zum 20. April. Jetzt sind wir also privilegiert und es tut mir sehr leid und weh, dass all die anderen Einzelhändler in dem wirtschaftlich wichtigsten Zeitraum des Jahres etwas umsetzten müssen, dass auf jeden Fall die Kundenanzahl mindern wird. Meine Erfahrung aus der gesamten Coronazeit ist allerdings auch: Mit einem Team, das sich den Geschicken des Ladens verschreibt, ist alles möglich und so ist mir nicht bange, weil ich weiß, wir können auf alles reagieren.
LS: Vor zwei Wochen hattet ihr eine Signierstunde mit Kasper König und StrzeleckiBooks, vor kurzem eine Kinder-Lesung mit Lisa Krusche. Fallen Veranstaltungen nun wieder ganz weg oder wie geht ihr damit um?
UO: Im Dezember versuchen wir traditionell keine Veranstaltungen zu machen. Da ist der Energielevel schon hoch genug. Wir haben ja in Kooperation mit der Agneskirche im Rahmen von Literatur in St. Agnes viele Veranstaltungen gemacht. Unser Literaturkreis hat sich gerade aber eine kleine Auszeit genommen. Wir betreuen Büchertische für das Comedia Theater und in diesem Jahr zum ersten Mal mit anderen unabhängigen Kölner Buchhändlern die Büchertische für die LitCologne. In der Agnes-Buchhandlung hatten wir bis in den späten November Lesungen und die beiden Signierstunden mit Kasper König und Lars Eidinger, der im Frühjahr da war. Das alles war unglaublich vielseitig und bunt und hat uns viel Freude bereitet. Jetzt warten wir erst mal ab. Planen kann man gerade gar nichts.
LS: Merkst du bei den Kund:innen eine Veränderung der Lesegewohnheiten? Ist ein Genre, ein/e Autor:in Pandemie-bedingt besonders gefragt?
UO: Ich hoffe, dass es bei anderen Buchhändlern genauso ist: es kommen ganz viele junge Menschen zu uns, die Generation der Zwanzig bis Dreißigjährigen. Von dieser Generation wurde eher angenommen, dass sie dem Buchhandel verloren sei, eher technikaffin, aufmerksamkeitsgestört und weitere lesefremde Attribute. Pustekuchen: wir erleben da sehr wache, aufmerksame, gut informierte junge Menschen, die ein durchaus haptisch ästhetisches Bewusstsein haben. Und sie fragen nach Themen: Umwelt, Politik, Soziologie, Philosophie, Frauen, Biographien, die ganze Palette des Sachbuchs eigentlich, wo man auch sehr die Verlage loben muss, weil gerade noch mehr in diesem Segment geboten wird. Im Zuge dessen hat sich auch unser Sortiment gewandelt. Was mich besonders freut, dass es so unglaublich schön gestaltete Bücher gibt, nicht nur, aber vielfach von den unabhängigen Verlagen. Also, ich erlebe eigentlich gerade die ästhetisch schönste Zeit meines Buchhändlerseins. Das spiegelt der Laden gerade auch wider, er ist übervoll mit wunderlichen Wunderbarkeiten.
LS: Das Sortiment der Agnes Buchhandlung ist immer sorgfältig und mit Bedacht ausgewählt. Der Buchhandel lebt vom persönlichen Austausch mit den Kund:innen und natürlich wollen auch wir wissen, was gerade am meisten gefragt ist. Hast du ein zwei Leseempfehlungen, die die uns ans Herz legen kannst?
UO: Also, ich habe gerade den neuen Illies zu Ende gelesen und finde den schon richtig gut, allerdings braucht der meine Empfehlung wohl kaum! Mich erfüllt Literatur ja immer besonders, wenn ein ungekannter sprachlicher Ton mitschwingt und da hat mich in diesem Jahr Stefanie vor Schulte mit „Der Junge mit dem schwarzen Hahn“ beeindruckt. In eine mittelalterliche Welt werden wir da mitgenommen. Jedenfalls bin ich dem Charme, dem Mitgefühl und der Schläue von Martin, dem Jungen, erlegen. Er lebt am Rande eines Dorfes in einer Kate. Sein Vater hat seine ganze Familie und sich umgebracht, nur Martin nicht. Er wird von den Dorfbewohnern geächtet und flieht erst dieser engen Umgebung als er von einem fahrenden Maler mitgenommen wird. Es beginnt ein großes Abenteuer.
LS: Ihr habt eine liebevoll kuratierte Kinderbuch-Abteilung: Welches Buch sollten wir unseren Kindern unbedingt unter den Weihnachtsbaum legen?
Ich hatte eine sehr schöne Begegnung mit Lisa Krusche, die bei uns gelesen hat. Es kamen leider sehr wenig Leute. Immerhin waren meine beiden Kinder da und die sind natürlich mein Gradmesser, wenn es darum geht, ob mein Erwachsenengefühl tatsächlich mit einer Kinderleseerfahrung mithalten kann. Es war ein sehr schöner intimer Abend. Lisa Krusche schreibt in „Das Universum ist verdammt groß und supermystisch“ über Gustav. Der wünscht sich einen Hund, einen treuen Freund. Etwas, was er im Leben nicht hat. Der neue Mann an der Seite von Gustavs Mutter Lily schenkt ihm eine Wasserpflanze, damit er nicht so allein ist, wenn er mit seiner Mutter wegfährt. Ohne Gustav, natürlich! Dabei läuft es doch jedes Mal so: Ein Mann kommt, Lily ist kurze Zeit froh, der Mann geht wieder, Lily wird noch trauriger als vorher. Gustav schwört sich nicht mehr zu sprechen. Und er malt sich aus, was sein Vater wohl sein könnte. Und vor allem, wo er sein könnte. Dann trifft er ein Mädchen: das breiteste Grinsen der Welt leuchtet Gustav entgegen, und er hat das Gefühl, es riecht plötzlich nach Zimt. Charles kratzt Gustavs Stummheit nicht, sie will mit ihm losziehen, um seinen Vater zu finden. Zusammen mit Gustavs Opa, der im Altersheim sitzt und von seiner Zirkuszeit träumt, reisen sie von Berlin bis nach Istanbul.
LS: Euer Schaufenster wird regelmäßig neu gestaltet, ihr stellt häufig Kölner Verlage vor und gebt ihnen die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Wie nimmst du den Austausch innerhalb der Szene wahr? Hat sich in den letzten Jahren etwas verändert und was würdest du dir für die Szene aber auch den Kölner Buchhandel wünschen?
UO: Köln ist eine Literaturstadt, auch wenn sich viel nach Berlin hinbewegt hat in den letzten Jahren. Es gibt mit dem Literaturhaus, der LitCologne, der langen Nacht der Literatur, Literatur in den Häusern der Stadt usw. sehr wirkungsvolle Veranstaltungsformen. Es gibt tolle Verlage und Buchhandlungen. Allein wie häufig der Buchhandlungspreis nach Köln gegangen ist, zeigt eine große kreative Kraft. Insgesamt wünschte ich mir, dass es uns allen gelingt, die Literaturvermittlung weiterhin relevant zu halten, also die jungen Menschen und kommenden Generationen früh genug einzubinden. Ganz konkret geht es vor allem darum, Orte zu erhalten. Buchhandlungen sind ja ganz häufig Inhaber gebunden. Es muss Menschen geben, die das ausfüllen und gestalten wollen. Fällt das weg, sinkt erwiesener Maße die Lesefreudigkeit an den Orten. Ich hoffe, der Kölner Buchhandlungsszene gelingt ein gesunder Wechsel zu Menschen mit Energie und Kreativität. Mit der neuen Literaturbegegnung Kölner Bücherfest ist dieses Jahr zum zweiten Mal auch noch ein Anlass gegeben worden, dass sich Publikum, Kölner Verlage, Autoren, Verlagsvertreter, Buchhandlungen an einem ganzen Tag auf einer Art Messe treffen. Das finde ich eigentlich sehr schön, müsste aber vielleicht noch eine noch größere Gesamtheit der Literaturvermittler in Köln abbilden. Es gab ja einmal den Bücherherbst auf dem Neumarkt. Warum nicht mal etwas größer denken, wenn Begegnungen wieder leichter fallen?
Danke, lieber Uli, dass du dir trotz Weihnachtsgeschäft die Zeit für uns genommen hast.
Die Fragen stellte Paula Döring für die Literaturszene Köln e.V.
Über die Agnes-Buchhandlung.
Seit den 1960er Jahren gibt es Buchhändler aus der Familie in Köln. 1980 kaufte Rolf Ormanns die Akademische Buchhandlung auf der Zülpicher Straße. Seine Frau Regine führte seit Bestehen 1986 ein paar Häuser weiter den Taschenbuchladen (heute in den Händen von Ursula Kiel). Ihre Kinder Anette und Uli machten ihre Buchhändlerlehre in Köln. Rolf gründete noch in 1990 das Geschäft Papelito (heute unter Leitung von Susanne Bethke). 1998 erwarb Regine die Buchhandlung im Agnesviertel, die seither Agnes-Buchhandlung heißt. 2001 übernahm Uli die Buchhandlung. 2002 Mitbegründung der Lesungsreihe „Literatur in St. Agnes“. Ein Jahr später Umzug an die heutige Stelle. 2007 Tod Rolfs vorm Papelito. Seit 2015 hat die Agnes-Buchhandlung viermal in verschiedenen Kategorien den Deutschen Buchhandlungspreis erhalten.