Interview mit zwei Kuratorinnen des stimmen afrikas-Projektes  NEUE TÖCHTER AFRIKAS

stimmen afrikas wird 2023 eine Anthologie NEUE TÖCHTER AFRIKAS im Unrast Verlag herausgeben. Ein Kuratorinnen-Team aus Nordrhein-Westfalen hat 30 Stimmen aus dem reichhaltigen Band New Daughters of Africa (hrsg. von Margaret Busby, Myriad 2019) für die deutsche Edition ausgewählt. Die vier Schwarzen Frauen, Julienne De Muirier, donna Kukama, Emilene Wopana Mudimu und Glenda Obermuller stehen im Zentrum der Veranstaltung am 26. Oktober 2022*, die eine Reihe von Autorinnen-Lesungen & Gesprächen, Schulveranstaltungen und Diskursen in 2022 und 2023 eröffnet.

Emilene Wopana Mudimu (Sozialpädagogin, Aktivistin und Poetin) und Glenda Obermuller (Community Organizer, Aktivistin, Pädagigin) konnten wir zu der Projektarbeit befragen.

Welche Bedeutung hat Literatur in deinem Leben?

EWM: Literatur ermöglicht, in andere Perspektiven und Lebensrealitäten eintauchen und somit meinen Horizont erweitern zu können. Lesen ist aber unter anderem auch eine Möglichkeit für mich, um in meiner Freizeit einfach vom Alltag abzuschalten.

GO: Die Literatur ist das Medium, das mir geholfen hat, mich selbst zu verstehen, und in ihr habe ich Antworten auf das Leben und die Geschehnisse in der Welt im Allgemeinen gefunden.

Was interessiert dich besonders an den Texten Schwarzer Frauen?

EWM: Ich würde die Frage auf die Perspektiven von FLINT Personen erweitern wollen, also alle jenseits der cis-männlichen Norm, die von den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft unterdrückt werden. Aber sich gleichzeitig eben auch gegen diese auflehnen und auf verschiedene Weise Widerstand leisten. Und genau diese Widerstandsgeschichten und Bewegungen, die es im Laufe der Menschheitsgeschichte weltweit gab, interessieren mich am meisten.

GO: Die Texte Schwarzer Frauen werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Für mich ist es ähnlich wie das Hören und Finden meiner eigenen Stimme.

Aber das Zitat, das mir in den Sinn kommt, ist eines von James Baldwin, der ein Schwarzer queerer Autor war:

„Du denkst, dass dein Schmerz und dein Herzschmerz in der Geschichte der Welt beispiellos sind, aber dann liest du. Es waren Bücher, die mich lehrten, dass die Dinge, die mich am meisten quälten, genau die Dinge waren, die mich mit all den Menschen verbanden, die am Leben waren, die jemals am Leben waren.“ 

Wie würdest du die Literaturszene in Deutschland beschreiben?

EWM: Immer noch sehr weiß-dominiert, aber in den vergangenen 5-10 Jahren gibt es immer mehr BIPoC, die sich mit ihren Werken den Raum aneignen. Siehe u.a die Proteste zur Frankfurter Buchmesse im Jahr 2021. Auch wenn ich mir persönlich mehr Bücher wünschen würde, die migrantische Stimmen auch außerhalb der Verhandlung von Rassismus und Diskriminierung abbilden. Denn wir sind viel mehr als das Produkt der Traumata, die die Mehrheitsgesellschaft in uns projiziert.

GO: Die Literaturszene ist sehr lebendig. Ich kann sie im Moment nur mit meinem Heimatland Guyana vergleichen, deshalb gefällt es mir hier. Aber natürlich gibt es noch viel Raum für Verbesserungen, und es wurden zahlreiche Schritte in die richtige Richtung unternommen, um die reichen schwarzafrikanischen Stimmen, die es schon immer gab, einzubeziehen. Deutschland kann nur gewinnen, wenn Vielfalt in allen Bereichen gelebt wird.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit stimmen afrikas?

EWM: stimmen afrikas war mir durch andere Kontexte bereits bekannt und dadurch dass Glenda Obermuller, die mit dem Verein SCDG sehr in der Schwarzen Community Arbeit verwurzelt ist, im Prozess die Rolle als Vermittlerin und Koordinatorin übernommen hat, habe ich mich vom Projekt angesprochen gefühlt. Die Kurator*innentätigkeit an sich war zum Teil komplex und zwischenzeitlich von Hürden bestimmt. Jedoch konnte ich aus dem ganzen Prozess lehrreiche Erkenntnisse für meine (zukünftige) Arbeit ziehen und bin sehr dankbar für den Austausch mit Glenda, Donna und Julienne.

GO: stimmen afrikas setzt sich seit Jahren für die Förderung afrikanischer Stimmen ein und es war nur passend, dass sie sich entschlossen haben, bekannte Schwarze Künstler*innen aus NRW anzusprechen. Sie haben sich an mich gewandt, nachdem sie im letzten Jahr mit der Sonnenblumen Community Development Group e.V. (für die ich tätig bin) im Rahmen der Reihe „Länderfokus Afrika“ kollaboriert haben. In den letzten zweieinhalb Jahren ist immer deutlicher geworden, dass der Weg in die Zukunft darin besteht, Vielfalt zu leben, d.h. in diesem Fall, dass es wichtig ist, dass weiße Organisationen mit Schwarzen Organisationen zusammenarbeiten.

Was kann ein Buch wie NEUE TÖCHTER AFRIKAS bewirken?

EWM: Ich glaube, dass es dazu beitragen kann, dass Schwarze, afro-diasporische Autor*innen, die im deutschen Kontext noch nicht ausreichend oder gar nicht repräsentiert sind, die ihnen zustehende Sichtbarkeit erhalten. Auf einer internationalen Ebene sind viele der Autor*innen, deren Texte wir ausgewählt haben bereits erfolgreich. In Deutschland muss sich diesbezüglich noch viel tun. Und NEUE TÖCHTER AFRIKAS könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, auch weil durch die Übersetzungen sprachliche Zugänge geschaffen werden.

GO: Für Schwarze Frauen in Deutschland, die das Buch lesen, wird es auf jeden Fall einen Empowerment-Schub geben. Sie haben hier die Möglichkeit, sich in Texte zu vertiefen, die von vier Schwarzen Frauen aus NRW, wie sie selbst, sorgfältig ausgewählt und von keiner Geringeren als der Königin selbst, Margaret Busby, genehmigt und abgerundet wurden. Für andere in der deutschen Gesellschaft wird es ein offenes Fenster zum Verständnis der zahlreichen Facetten des Lebens Schwarzer Frauen sein und hoffentlich zu einem Perspektivenwechsel beitragen. Hier haben sie die Möglichkeit, einen Blick auf das Leben Schwarzer Frauen über hundert Jahre hinweg zu werfen, der den gesamten Globus umspannt. Es wird spannend!

Veranstaltungshinweis:

26.Oktober 2022 um 19:30 Uhr im Forum VHS im Museum am Neumarkt, (8€/ erm. 6€)

NEW DAUGHTERS OF AFRICA
Julienne De Muirier, donna Kukama, Emilene Wopana Mudimu und Glenda Obermuller unterhalten sich mit der britisch-nigerianischen Autorin Sarah Ladipo Manyika über ihre Arbeit an der Auswahl der Autorinnen, die in die auserlesene deutsche Kollektion von Margaret Busby eingingen. Die Theater- und Filmschauspielerin Dela Dabulamanzi wird Kostproben aus den Lieblingstexten der  Kuratorinnen vorlesen, die die literarischen Übersetzerinnen Aminata Cissé Schleicher und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly exklusiv für diesen Anlass zur Verfügung gestellt haben.