Was für ein aufregendes Jahr – und mitten in diesem Ausnahmezustand hast du dich entschieden zum Jahreswechsel die Maternus Buchhandlung zu übernehmen. Was ist das für ein Gefühl?

Ja, da hast du wohl recht; dieses Jahr ist schon krass und kräftezehrend. Allerdings: Zum einen habe ich mich schon vor Corona gemeinsam mit meiner Familie zu diesem Schritt entschlossen und zum anderen gibt die wirtschaftliche Entwicklung der Buchhandlung in den letzten Monaten keinen Anlass, diese Entscheidung zu überdenken. Uns und anderen Buchhandlungen geht es glücklicherweise besser als anderen Branchen derzeit, da muss man ehrlich sein. Es fühlt sich daher eigentlich alles gut und richtig an. Abgesehen von Corona, wozu mir nichts Produktives einfällt. Deshalb bin ich jetzt auch nicht in Partystimmung, freue mich eher still, demütig – irgendwann lassen wir es aber mal krachen mit einer schönen Lesung und Feierei.

Du bist Ursula Jünger schon lange verbunden – was willst du unbedingt beibehalten und welche neuen Wege willst du einschlagen?

Stimmt, die Maternus ist mir mit den Jahren ein Zuhause geworden.
Was das Sortiment und die inhaltliche Ausrichtung angeht, so bin ich dafür ja schon seit einigen Jahren verantwortlich. Natürlich werde ich die ein oder andere Schraube drehen, das Sachbuch vertiefen, die Literatur noch weiter stärken, aber für unsere Kund*innen bleibt in dieser Hinsicht vieles so, wie sie es von uns kennen. Auch unsere Lesungsreihe werden wir wieder aufnehmen, sobald es geht. Die Unabhängigkeit von Bestsellerlisten, Betriebsautomatismen und feuilletonistischen Pseudodiskursen wird mir immer wichtig sein.
Das Moderne Antiquariat übernehme ich nicht, das bleibt bei Ursula Jünger und Bernhard Broich. Somit bietet sich die Möglichkeit, die schöne erste Etage endlich voll zu nutzen und neu zu bespielen. Das Kinderbuch wandert nach oben und wird ergänzt. Einige räumliche, auch personelle Änderungen stehen an. Meine Frau wird mich in der Buchhandlung unterstützen. Ursula Jünger und mir gefällt grundsätzlich die Idee, dass Familie Völker das Ruder übernimmt. Lustig, meine Frau hat damals die Stellenausschreibung der Maternus entdeckt und zu mir gesagt: „Bewirb dich da doch mal.“

Welche Bücher haben dich geprägt? Und wann und aus welchem Grund hast du dich dazu entschieden Buchhändler zu werden?

Ich bin von Haus aus Literaturwissenschaftler, habe nach einigen Wirrungen Komparatistik studiert. Das war super. Gleichzeitig habe ich halbtags im Buchhandel gearbeitet. Das war auch super. Meine Doktorarbeit habe ich schließlich aufgegeben, um mich voll der Maternus zuzuwenden. Ohnehin hat mich zunehmend der akademische Kokon gestört, der Literatur zum exklusiven Gegenstand von deutungsfähigen Eingeweihten erhebt. Das Gespräch mit Kund*innen, die ich gerne als echte Leser*innen bezeichne, ist in vielen Fällen fruchtbarer als das mit irgendeinem hadernden Post-Post-Poststrukturalisten oder so. Als Buchhändler bin ich also Quereinsteiger; ich bin hier geblieben, weil ich es kann, weil es meinen etwas diffusen Werdegang kanalisiert und weil es mich auf direkte Weise erfüllt. Ich handel und verkaufe auch gerne.

Mich reizt Literatur, die ins Risiko geht, Räume öffnet und mich langweilen Bücher, die aufgeblasen, gepudert und parfümiert von ihrer Belanglosigkeit ablenken möchten, die sie eigentlich nur umkreisen. Nach einigem Überlegen finde ich, dass Irritation und Latenz, Metamorphosen sowie kalkulierte Unmöglichkeit Triebfedern wichtiger Texte sein können. Literarische Verknüpfungen prägen mich wohl mehr als einzelne Bücher. Ovid, Hoffmann, Gogol, Melville, Borges, Kafka sind einige meiner Klassiker. Wolfgang Hildesheimer lese ich immer wieder seit ich 16 war und bedauere, dass sein Werk bald vergessen sein wird. Ransmayr, Cartarescu oder wa Thiong’o würde ich den Nobelpreis geben. Meine vielleicht beste Entdeckung der letzten Jahre sind die Bücher des Angolaners José Eduardo Agualusa. Geprägt haben mich natürlich Bücher, Begegnungen und Gespräche von und mit Autor*innen, die bei uns gelesen haben: Lukas Bärfuss halte ich für einen wirklich wichtigen Autor unserer Zeit und ich schätze seinen Blick auf die Dinge, Feridun Zaimoglu ist ein großer (Geschichten-)Erzähler. Norbert Scheuer, Markus Orths, Anja Kampmann, Mirko Bonné, Gert Loschütz, Verena Roßbacher, Tomer Gardi… alle toll!

Wir danken für das Gespräch, lieber Gerrit!

Das Gespräch führte Paula Döring für die Literaturszene Köln e.V.