Literaturszene Köln: Lieber Eric, gerade erschienen ist dein Buch „AZZURRO – Mit 100 Songs durch Italien“ (Kiepenheuer & Witsch). Die wichtigste Frage zuerst: Wieviel Italien steckt in Köln?

Eric Pfeil: Schöne Frage. Wobei die hier lebenden Italienerinnen und Italiener die vermutlich besser beantworten könnten. In Köln leben ja beispielsweise viele Menschen aus der sizilianischen Hafenstadt Licata. Das ist auf den ersten Blick doch eine ziemlich andere Welt. Mein geschätzter, aus Apulien stammender Italienischlehrer, auf dessen Meinung ich einiges gebe, spricht immer wieder von recht starken Ähnlichkeiten. Ich vermute, er bezieht sich auf Behörden und Stadtplanerisches. Das mag den Eindruck erhärten, bei Köln handele es sich wirklich um die nördlichste Stadt Italiens. Auf der anderen Seite und bei aller Liebe zu meiner Heimatstadt: Es fehlt hier schon ein gutes Stück Italien.

LK: Woher stammt deine Liebe zu Italien und italienischer Musik? Was macht Italien für dich zu diesem besonderen Sehnsuchtsort?

EP: Das ist ursprünglich, wie so vieles, ein Kindheitsding. Mein Vater war Unterhaltungsmusiker und meine Mutter liebte Italien, das hat sich für mich sehr schlüssig kombiniert. Wir sind in den frühen 80ern regelmäßig über den Brenner nach Italien gefahren, wo ich damals – als sehr beeindruckbarer Pubertierender – so eine Art Schlaraffenland vorgefunden habe. Ich habe mich danach immer wieder neu in dieses Land – oder besser: in diesen Kulturraum – verknallt. Und ich wollte diese ganzen Widersprüche und Abgründe verstehen. Die Musik hat dabei immer eine große Rolle gespielt. Die italienische Popmusik, die musica leggera demonstriert für mich in Formvollendung ein dortiges Prinzip: das vermeintlich Wichtige dem vermeintlich Unwichtigen unterzuordnen. Und das ist es ja letzlich, was uns immer wieder so über die Italienerinnen und Italiener staunen lässt.

LK: Dein letztes Buch hast du vor zehn Jahre veröffentlicht. Wann war für dich klar, dass AZZURRO dein nächster Titel werden würde den du veröffentlichen möchtest und wie ist es zu AZZURRO gekommen?

EP: Ich habe lange gebraucht, um zu merken, dass Italien mein Thema ist. Vielleicht war es so offensichtlich, dass ich es selbst nicht sehen konnte. Ich stand im ersten Frühjahr der Corona-Pandemie 2020 eines Morgens in der Küche: Meine Frau war auf Bali, es ging kein Flug zurück, und im Radio hörte ich, dass ein großer italienischer Musiker an Covid verstorben sei. Es war diese frühe Phase der Schockstarre. Mir wurde ganz seltsam, weil ich dachte: „Na prima, jetzt geht diese ganze von mir geliebte Welt der italienischen Leichtigkeit also auch den Bach runter.“ Ich habe auf die einzig vernünftige Art reagiert und mir ein paar Campari eingeschüttet und heulend meine liebsten Italo-Platten gehört. Am nächsten Tag habe ich angefangen, über das Thema zu bloggen: Jeden Tag habe ich einen anderen Song aus meinem geliebten Kulturraum Italien vorgestellt. Eines Tages schrieb jemand: „Was für ein schönes Buch das wäre.“ Ich bin diesem Menschen ewig dankbar, denn von da an gab es kein Halten mehr.

LK: Alle Orte die in deinem Buch vorkommen, hast du selbst besucht. Was hat dich am meisten berührt, was am meisten beeindruckt?

EP: Ich bin letztes Jahr mit meinem Manuskript von „Azzurro“ auf dem Schoß durch Italien gereist, um all die Orte nochmal abzuklappern und zu sehen: Stimmt dieser ganze liebenswerte Irrsinn, den ich da in meinem Buch beschreibe, auch wirklich. Für mich ist das ja eine mythische Landschaft voll unbesungener Sehenswürdigkeiten, an die man nur von diesen 100 Liedern aus dem Buch gebracht werden kann. Und wenn man da so rumfährt, die Lieder im Ohr und das Buch vor sich merkt man: Es ist alles noch viel toller!

Mich beeindruckt immer wieder Neapel. Die Stadt ist die Wiege der italienischen Musik, hier kommt die canzone, das italienische Lied, ursprünglich her; gleichzeitig wird hier eine Form von anarchischem Draufgängertum gelebt, das man in Europa nicht mehr häufig findet.

In Bologna hat mich die Wohnung des verstorbenen Lucio Dalla umgehauen eine Installation der Widersprüchlichkeit, in deren Einrichtung schwule Ikonografie auf süditalienischen Aberglauben trifft. Ich versuche seither, mein Schlafzimmer so ähnlich einzurichten.,

Auch als ich in Mailand vor Adriano Celentanos Geburtshaus stand – prominent besungen in „Il Ragazzo della via Gluck“ – war ich sehr bewegt. Ich bin nah am Wasser gebaut, und meine Frau musste mich ziemlich schnell wieder nach Hotel bringen.

Ebenfalls alles vorbei war, als ich vor Lucio Battistis Lieblingstrattoria in der Nähe des Lago di Como stand. Man erinnert sich dort noch sehr gut an ihn. E si mangia molto bene lì.

LK: Du bist Autor und Musiker und lebst schon lange in Köln. Was macht für dich die Kultur- und Literaturszene der Stadt aus?

Der Kölner Reflex ist sicherlich immer zu denken, hier müsste doch deutlich mehr gehen. Ich bin gerade in das Kunstprojekt meines guten Freundes Jörg Streichert verstrickt, „Köln unter Palmen“. Da geht es um soziale – und kulturelle – Utopien für diese Stadt, um Sehnsuchtsorte, deren Existenz man sich für die Stadt wünscht. Ich bin im Köln der 90er aufgewachsen, mit der SPEX und dem Boom elektronischen Musik hier aus Köln. Das war schon eine komplett andere Ära. Ich tue mich tatsächlich immer etwas schwer mit dem Begriff „Szene“, weil er impliziert, dass man sich nachts kettenrauchend in den Bars die jeweils neuen Manuskripte vorliest. Zumindest in meiner Blase ist das eher nicht so.

LK: Vielen Dank für das Gespräch, lieber Eric!

Die Fragen für die Literaturszene Köln stellte Paula Döring.