Vom 23. bis 25. April 2021 findet – erstmals im Livestream – das Shortstory-Festival “Blick in die Zukunft – Gegen das Vergessen” in der Reihe stimmen afrikas statt. Für die Literaturszene Köln e.V. haben wir hierzu mit Christa Morgenrath, Initiatorin und Leiterin des Projektes und Mitglied unseres Vereins, gesprochen.
Die Fragen stellte Paula Döring.
Liebe Christa, seit über zehn Jahren gibt es nun in Köln schon das die Literatur- und Bildungsreihe „stimmen afrikas“. Kannst du ein wenig darüber erzählen? Wie ist es dazu gekommen, wer hatte damals die Idee das Projekt in Köln auf die Beine zu stellen?
Als ich 2019 mit einer Freundin im Allerweltshaus war, wurde ich auf die kleine, aber feine Bibliothek mit einer ansehnlichen Sammlung von Werken afrikanischer Schriftsteller:innen aufmerksam. Das war eine echte Überraschung, denn etwas Vergleichbares hatte ich bisher nirgendwo sonst gesehen. So entstand die Idee, Menschen auf diese Bibliothek und vor allem auf die bisher kaum bekannten Literaturen unseres Nachbarkontinentes aufmerksam zu machen.
In der Reihe stimmen afrikas gab es bisher 2 Festivals, Poetic Voices Africa 2014 in Kooperation mit dem Literaturhaus Köln und 2019 Crossing Borders zu unserem 10jährigen Jubiläum. Das Shortstory-Festival in 6 Livestreams ist ein Corona bedingtes Format, in dem wir jetzt ursprünglich analog geplante Lesungen gebündelt präsentieren.
Welchen Bezug hast du selbst zum afrikanischen Kontinent? Ich meine mich zu Erinnern, dass du selbst eine zeitlang in Afrika gelebt hast – wo genau und was hast du dort gemacht?
Ja, ich habe knapp fünf Jahre in Gambia/ Westafrika gelebt und dort im Gesundheits- und Bildungssektor gearbeitet. Nach der umfassenden Erfahrung mit dem „Big Kulturbusiness“ im Rahmen der EXPO 2000 hatte ich das dringende Bedürfnis nach Perspektivenwechsel und Arbeit an der Basis. Im Gepäck hatte ich die kühne Idee, eine mobile Kinderbibliothek mit aufzubauen. Die kleine Sammlung mit internationalen Bilderbüchern, die durch viele Hände in meiner Nachbarschaft gingen, habe ich später einem Vorschulkindergarten überlassen. Übrigens ist in dieser Zeit auch mein Sohn zur Welt gekommen.
Woher kommt deine persönliche Faszination für Literatur?
Wenn ich mich an die ersten Bücher, die ich gelesen habe, erinnere – Oliver Twist, Tom Sawyer, Momo oder Der Kleine Hobbit – war es Faszination in andere Zeiten und Welten einzutauchen. Im Bereich der Theaterdramaturgie, in der ich auch viele Jahre arbeitete, war es dann die Faszination darüber, wie viele Ebenen und Deutungsmöglichkeiten Sprache in sich birgt. Und als ich die ersten Bücher afrikanischer Autor:innen las, war es wiederum diese Reise in mir völlig unbekannte Länder und Erlebniswelten, die mich in den Bann zogen.
Wonach wählt ihr eure Autor:innen aus? Was sind eure Kriterien?
Ein formales, aber wichtiges Kriterium ist, dass ein Buch in einem deutschsprachigen Verlag erschienen ist. Es ist uns daran gelegen, dass Menschen die Bücher hierzulande verstehen und erwerben können. Selbstverständlich sind zudem die literarische Qualität und die Relevanz der Inhalte für ausschlaggebend. Es soll ein unmittelbarer Austausch zwischen Schriftsteller:innen und Publikum angeregt werden. Themen waren / sind z.B. literarische Länderporträts, die historische oder aktuelle gesellschaftliche Realitäten vermitteln, Schreiben in afrikanischen Sprachen und die Bedeutung „kulturelle Übersetzung“ sowie Dekolonisierungsprozesse. Auch unterschiedliche Genres und Formate haben wir über die Jahre für die Präsentation unserer Gäste gewählt: neben Lesungen auch Performances, Podiumsdiskussionen und zahlreiche Schulveranstaltungen. Für die finale Auswahl verfolgen wir das laufende Geschehen in der sehr facettenreichen Literaturszene Afrikas, sind dort mit zahlreichen Autor:innen und Akteur:innen sowie mit hiesigen Verlagen im Austausch.
Magst du ein wenig etwas über eure diesjährigen Gäste erzählen? Habt ihr inhaltliche Schwerpunkte gesetzt und wie gestaltet ihr das Festival in Zeiten der Pandemie?
Blick in die Zukunft – Gegen das Vergessen lautet der Titel der aktuellen zweiteiligen Kurzgeschichtenreihe.
Wenn wir das Vergangene ausblenden, uns nicht bewusst erinnern, können wir keine Zukunftsperspektive entwickeln – so der Grundgedanke für die je zwei Kurzgeschichten, die wir von den sechs Autor:innen (drei englisch- und drei französischsprachige) aus sechs Ländern vorstellen. Da wir mit dem Masterstudiengang „Literatur übersetzen“ der Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf kooperieren, konnten wir hierfür nach Originaltexten stöbern, für die die Studierenden in Workshops mit den Autor:innen Übersetzungen erarbeiten. Zwei Geschichten fanden wir z. B. in dem großartigen Band „New Daughters of Africa“ von Margaret Busby. Die von der Deutsch-Nigerianerin Olumide Popoola, in der es um die Trauerarbeit nach dem Verlust eines Angehörigen geht, und die der vielfach ausgezeichneten Uganderin Jennifer N. Makumbi, die von einem lang gehüteten Familiengeheimnis erzählt. Jo Güstin aus Kamerun, die sich als Aktivistin im Bereich der Intersektionalität und der Dekolonialisierung bezeichnet, thematisiert die Rassismus-Erfahrung eines Schwarzen Mädchens, das in einem weißen Umfeld aufwächst. Naffissatou Dia Diouf, die u.a. für Jugendliche schreibt und auch satirische Texte verfasst, beschreibt mit einer Reise durch den Senegal eine Spurensuche in die Familiengeschichte ihrer Protagonistin. Außerdem sind Sinzo Aanza aus der DR Kongo und Karen Jennings aus Südafrika dabei. Sinzo Aanza aus der DR Kongo ist auch als vielseitiger Theatermann bekannt, in einer Art innerem Monolog versucht eine Frau zu einem traumatischen Kindheitserlebnis vorzudringen. Die Südafrikanerin Karen Jennings widmet in vielen ihrer Werke gesellschaftspolitischen Themen. Sie erzählt von einem Leuchtturmwärter, der am Strand auf seiner ansonsten unbewohnten Insel den reglosen Körper eines Mannes findet.
Für die „Zukunftsgeschichten“ haben die Autor:innen einen Schreibauftrag erhalten. Der Reiz des Projektes besteht darin, die Schreibenden zwei Mal erleben zu können und zu erfahren, wie sie Vergangenheiten wachrufen und welche Zukunftsvisionen sie entwerfen.
Wie seid ihr im Team aufgestellt, wie viele Leuten arbeiten bei stimmen afrikas und helfen aktiv bei der Vorbereitung und Ausführung mit?
Wir sind derzeit drei Frauen im Kernteam mit befristeten Jobs, vier ausgezeichnete Ehrenamtlerinnen und zwei Kolleginnen aus dem Allerweltshaus, die uns unterstützen.
Wie finanziert ihr das Festival?
Das Festival und die Fortsetzung mit den „Zukunftsgeschichten in sechs Einzelveranstaltungen ab Mai sowie einzelne Kooperationsveranstaltungen in NRW-Städten – werden in Kooperation mit der Heinrich-Heine-Universität und dem Institut Francais durchgeführt und gefördert von:
Auswärtiges Amt, Ministerium für Kultur und Wissenschaft, Kunststiftung NRW, Stadt Köln, Brot für die Welt für das Gesamtprojekt sowie Rosa Luxemburg-Stiftung, NRW Kultursekretariat und den Kulturämtern Bochum, Dortmund & Mülheim an der Ruhr für Anschlussveranstaltungen in NRW. Hier kommen hoffentlich noch Bonn & Essen dazu.
Wie nimmst du die Kölner Literaturszene wahr?
Bei der Jubiläumsveranstaltung des Literaturhauses ist mir nochmal klar geworden, wie lebendig und reichhaltig die Kölner Literaturszene ist und wie viele Initiativen sich in den letzten Jahren entwickelt haben – das „auftakt festival für szenische texte“, das „Autorencafé fremdwOrte“, das Europäische Literaturfestival Köln Kalk oder auch das „Insert Female Artist Festival – das finde ich große Klasse und noch besser, dass diese Vielfalt und Vitalität jetzt in der „Literaturszene Köln“ abgebildet wird. Es ist toll zu sehen, dass so viele engagierte Menschen in diesem Sektor arbeiten und dass sich auch viele für gezielte Aktivitäten zusammentun.
Was würdest du dir im Austausch mit der Szene und für euer Festival wünschen?
Natürlich wünsche ich mir und uns, dass viele bei unseren LIVESTREAMS dabei sind.
Und ich wünsche den Autor:innen, dass Kolleg:innen und Veranstalter:innen, Übersetzer:innen und Verleger:innen auf sie aufmerksam werden und wir uns alle ganz bald wieder zu analogem Arbeiten treffen können.