Ein Gespräch mit Hildegund Laaff von der Lengfeld’schen Buchhandlung, die am 1. Juli ihr 180jähriges Bestehen feiert. Während der Dreiviertelstunde im Laden kommen immer wieder Kundinnen und Kunden hinein, schauen sich um, kaufen ein Buch – und suchen das Gespräch mit Hildegund Laaff.

Literaturszene: Liebe Hildegund, herzlichen Glückwunsch zum 180. Geburtstag der Lengfeld’schen Geburtstag! 1842 gegründet: Das ist ein stattlich hohes Alter.

Hildegund Laaff: Vielen Dank! Ja, wir haben tatsächlich recherchiert und herausgefunden, dass es in Deutschland keine weitere vergleichbare Buchhandlung gibt, die 180 Jahre alt ist. 120 oder 140 Jahre kommt schon mal vor – aber nicht 180. Viele haben im Lauf der Jahre Gesellschaften gegründet oder gehören Großbuchhandlungen an. Aber die Lengfeld’sche Buchhandlung wurde 1842 von Moritz Lengfeld gegründet – und war seither durchweg inhabergeführt.

Übrigens eröffnete die Lengfeld’sche Buchhandlung zunächst in der Hohe Straße, die damals noch Hochstraße hieß. Sie war eine Buchhandlung mit einem breit gefächerten Angebot, besorgte zum Beispiel auch Bücher aus den Niederlanden oder England. Zugleich war sie aber auch bald eine Leihbücherei. Das war nämlich damals üblich, dass Buchhandlungen auch Bücher ausgeliehen haben – es gab ja damals nicht so viel Finanzkraft. Das war die zweitgrößte Leihbücherei Deutschlands.

Ihr habt in der Buchhandlung auch eine Übersicht der Geschichte der Buchhandlung ausliegen. Die war in mehrfacher Hinsicht wechselvoll.

In der Tat. Nicht nur hat die Buchhandlung verschiedene Umzüge erlebt – war auch mal in der Schildergasse angesiedelt oder mit einem sehr großen Sortiment in der Zeppelinstraße, dort wo heute Globetrotter ist. 1942 wurde das Geschäft ausgebombt und provisorisch in Privaträumen wieder geöffnet.

Auch in anderer Hinsicht war die Geschichte wechselvoll. Moritz Lengfeld war jüdisch, wie auch seine späterer Nachfolger Alexander Ganz. Dessen Sohn Felix leitete die Buchhandlung bis er 1933 nach Palästina emigrierte. 1936 wurde die Lengfeld’sche Buchhandlung dann „arisiert“, was in diesem Fall bedeutete, dass die Mitarbeiter Hans Schmitt und Sophie Lutze die Buchhandlung treuhänderisch weiterführten. Hans Schmitt blieb unter teils sehr schwierigen Bedingungen bis 1967 und begleitet unter anderem auch den Umzug zum Kolpingplatz 1. Diese Geschichte ist im Auftrag des EL-DE-Hauses von Brigitte und Fritz Bilz aufgearbeitet worden.

Die Buchhandlung war in verschiedener Weise ein Spiegel ihrer Zeit. Seit wann bist du in der Buchhandlung tätig?

Carsten Saenger und ich arbeiteten gemeinsam in der Bücherstube am Dom, 1993 sind wir zusammen in die Lengfeld’sche Buchhandlung. Carsten Saenger wurde deren Inhaber. Hier haben wir mit literarischen Veranstaltungen begonnen. Die erste war eine Lesung von Robert Musils „Die Amsel“. Aber auch lebende Autoren und Autorinnen waren da. Zum Beispiel José Saramago – kurz bevor er den Nobelpreis bekam, oder Uwe Johnson.

Nachdem Herr Schmitt und Frau Schmitt-Herzing, die dann bis 1993 alleinige Inhaberin war, sich besonders für Zeitgeschichte und eine politische Ausrichtung interessiert haben, war es für uns ein großes Anliegen, dass was unsere Kultur, unsere Kulturgeschichte ausmacht, zu zeigen. Indem man etwa klassische Literatur Europas zeigt.

Damit ist etwas angesprochen, was für mich die Lengfeld’sche Buchhandlung auch ausmacht!

Ja, die Langzeitlesungen, mit denen man für lange Zeit einen Autor hochhält. Weil er nach unserem Empfinden zeitprägend ist, ein Vorbild. Wenn man bedenkt, dass Cervantes Don Quijote oder Gontscharows Oblomow immer wieder genannt werden … Ob es Romane sind oder Sachbücher. Begonnen haben wir mit Proust, 1997. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit wurde dann bis 2003 vorgelesen.

Liebe Hildegund, dieses Jahr ist aber nicht nur ein besonderes Jahr, weil die Buchhandlung 180 wird. Du bist in diesem Frühjahr 85 Jahre alt geworden.

Und ich bin 1957 als junge Buchhändlerin nach Köln gekommen. Das sind in diesem Jahr also 65 Jahre!

Toll: Ein Jahr voller Jubiläen! Aber ich möchte auch gerne noch darauf zu sprechen kommen, was dieser Ort, diese Buchhandlung – mit der du nun auch bald dreißig Jahre aufs Engste verknüpft bist – bedeutet.

Dieser Ort bedeutet für mich wirklich mein Leben. Und mein Interesse an der Literatur so zu gestalten, wie ich es mir vorstelle. Meine klassischen Autoren sind natürlich präsent in der Buchhandlung. Aber zugleich kann ich auch immer die aktuellen Autoren kennenlernen. Das Besondere ist, den Kunden etwas zu empfehlen, mit den Kunden zu sprechen.

Also ich empfinde die Lengfeld’sche Buchhandlung als einen Salon, einen Ort des Gesprächs.

Es gibt hier ganz schöne Streitgespräche und einen Austausch zwischen den Kunden über Bücher. Und es sind hier sowohl Freundschaften und Feindschaften entstanden – und wenigstens drei Ehen gestiftet worden.

Das Faszinierende ist, dass man hier ebenso gut über zeitgenössische Literatur ins Gespräch kommt wie über ältere. Das Gespräch über Literatur hat einfach viel mit Zeit und Vertrauen zu tun und mit Atmosphäre.

Ihr seid auch Gastgeber hier in der Buchhandlung.

Ich finde es schön, wenn wir hier zum Gespräch auch mal ein Glas Wein anbieten zu können. Oft sitzen wir noch bis in den Abend zusammen.

Am 1. Juli ist das Jubiläum. Was macht ihr aus diesem Anlass?

Wir haben in der letzten Zeit die Autoren, deren besonderen Romanen wir Langzeitlesungen gewidmet haben, von ihren Vorlesern mit anderen Texten vorstellen lassen. Also wurde zum Beispiel von Uwe Johnson das Buch über Achim mit Auszügen gelesen – und eben nichts aus den Jahrestagen, die wir 2009 bis 2011 komplett gelesen haben.

Und es gibt eine kleine Zeitung, die dem Kölner Stadt-Anzeiger und der Kölnischen Rundschau beigelegen hat. Sie erzählt auch noch etwas über die Buchhandlung.

Am Freitag geht es dann um 12 Uhr los. Gerhart Baum, der der Lengfeld’schen Buchhandlung sehr verbunden ist, hält eine Laudatio. Und dann kommt jede Stunde eine Kurzlesung aus anderen Texten. Und im Nebenraum gibt es einen Imbiss, Canapés und was zu trinken. Das geht bis in den Abend. Und am Samstag haben dann einen Vorlesetag für Kinder. Wir wollen ja unseren kleinen Nachwuchs nicht vergessen! Denn den Nachwuchs verlieren wir nicht aus den Augen und wollen nach Möglichkeit nach den Sommerferien die Samstagslesungen für Kinder wieder aufnehmen – wenn Corona es nicht verhindert.

Was wünscht du dir für die Lengfeld’sche Buchhandlung?

Ich wünsche mir immer viele Leser. Und ich wünsche mir gute Bücher.

Gibt es davon nicht genug?

Doch, ja, aber es ist so, dass es jedes Jahr mehr Neuerscheinungen gibt. Die lassen sich gar nicht alle erfassen. Natürlich gibt es immer sehr gute Bücher, die wir empfehlen. Aber du darfst nicht vergessen, als ich in den 1950er Jahren anfing, gab es jeden Herbst etwa zwanzig neue Bücher – und von denen waren 16 hervorragend. Natürlich gibt es immer noch 16 sehr gute Bücher. Aber man hat eben nicht die Möglichkeit, vieles oder alles zu lesen, vielleicht entdecke ich eben nicht alle herausragenden Bücher. Bei der Fülle! Und wirklich empfehlen kannst du nur das, was du auch wirklich gelesen hast! Immerhin tauschen wir vier, die wir im Laden arbeiten, uns über unsere Lektüre aus.

An dieser Stelle mischt sich ein Kunde ins Gespräch und sagt, dass er bereits seit vielen Jahren in die Lengfeld’sche Buchhandlung kommt. Und alle, wirklich alle Bücher, die Hildegund Laaff ihm empfohlen habe, seien für ihn die richtigen gewesen.

Ich bin vielem treu geblieben, was ich schon früher gerne gelesen haben. Ich würde mir wünschen, das viele der älteren Bücher wieder in schönen Ausgaben, in bibliophilen Ausgaben wieder zugänglich wären. Es gibt viele junge Menschen, die gerne schöne Bücher kaufen möchten und eben auch die Klassiker. Und es gibt viele junge Menschen, die nachwievor gerne konzentriert lesen. Das ist eigentlich eine Konstante.

Und was sind die nächsten Pläne? Oder wollt ihr euch nach eurem Jubiläum erst einmal ausruhen?

Nein, nein, nein. Wir setzen dann unsere derzeitige Langzeitlesung von Michail Ossorgins „Eine Straße in Moskau“ fort. Das ist für mich ein phänomenales Buch. Es sind Texte darin, die sind absolut aktuell, die könnten heute in den Nachrichten gesprochen werden. Und dabei ist es 100 Jahre alt!

Und als Nächstes haben wir eine andere Überlegung: Dass wir die Langzeitlesung zu einer langen Zeit für Kurzgeschichte machen. Das heißt, dass wir dieses Mal keinen langen Roman komplett lesen, sondern Kurzgeschichten verschiedener Autoren, die es wert sind, wieder vorgestellt zu werden. Vielleicht regt das ja den einen oder anderen an, diese interessanten älteren Autoren für sich neu zu entdecken!

Und nun eine letzte Frage: Was bedeutet für dich die Literaturszene Kölns?

Ich nehme das wahr und freue mich, dass literarisch viel in Köln geschieht. Und früher habe ich daran aktiv teilgenommen. Das geht jetzt nicht so gut. Aber es ist ja auch schön, wenn man liest, was andere Buchhandlungen und viele andere machen und anbieten.

Das Gespräch führte Bettina Fischer.