Zum Tod von Erasmus Schöfer

Von Enno Stahl

Im Juni 2022 ist Erasmus Schöfer gestorben, eine prägende Gestalt der Kölner Literaturszene. Doch nicht nur das: Die deutsche Literatur verliert mit ihm einen der letzten wahrhaft politischen Autoren. Wahrhaft politisch ist ein Autor, wenn er nicht nur durch journalistische Einlassungen zu Tagesfragen auf sich aufmerksam macht. Wahrhaft politisch ist ein Autor dann, wenn auch sein literarisches Werk unübersehbar vom Engagement geprägt ist. Oder wie im Falle Schöfers von einer Darstellung der politischen Kämpfe, auch der Konflikte, Widersprüche und Niederlagen, die damit verbunden waren.

Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der 1960er bis 1980er Jahre hat er begleitet, teilweise als Aktivist, aber im Rückblick eben auch als Schriftsteller. In einem beispiellosen Werk, der vierbändigen Roman-Folge „Die Kinder des Sisyphos“ (2001-2008), dokumentierte Schöfer den politischen Widerstand seiner Zeit: die Anti-AKW-Bewegung, große Arbeitskämpfe, etwa um das Krupp-Stahlwerk in Duisburg-Rheinhausen, die Demonstrationen gegen die Startbahn West.

Er gehörte zu den letzten Intellektuellen, die aus traditionell marxistischer, dabei gewerkschaftlich grundierter Perspektive ihre Kritik an der kapitalistischen Weltordnung formulierten. Ihm ging es nicht um einzelne minderprivilegierte Gruppen, sondern um die ganze Menschheit, vor allem aber um die Arbeiterschaft.

Schöfer, geboren 1931 in der Nähe von Berlin, suchte und hielt den Kontakt mit Werktätigen. Schon während des Studiums der Germanistik und Philosophie war er als Praktikant und Arbeiter in Kölner und Berliner Fabriken tätig, also unmittelbar in der Produktion. 1970 war er Mitbegründer und erster Sprecher des „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt“. Das Anliegen dieser literarischen Initiative bestand darin, Arbeiterinnen und Arbeiter zum Schreiben zu bringen, damit sie ihre alltäglichen Erfahrungen in die Literatur einfließen lassen.

Schon das ist ein bleibendes Verdienst seines Wirkens. Doch viel mehr ist es noch seine Literatur. Sie wird uns weiterhin zu denken geben.