Ab Freitag, 9. April 2021 (ab etwa 17 Uhr) zeigt „Unser Ebertplatz“ erneut, wie sich Stadtraum durch künstlerische Kreativität beleben lässt. Dieses Mal im Vordergrund: Die Literatur.

Aufgrund der Corona-Pandemie können seit Monaten keine klassischen Kultur- und Literaturformate in Innenräumen stattfinden. Das Projekt „TRANSIT – Vorübergehende Literatur am Ebertplatz“ schafft einen neuartigen Zugang zur Gegenwartsliteratur. Ab Freitagabend rollen kurze literarische Texte auf einem großen LED-Laufband über den Platz.

Die Literaturszene Köln e.V. unterstützt das Projekt. Anlässlich der Eröffnung haben wir mit Nadine Müseler vom Kulturamt der Stadt Köln und Helle Habenicht, Mitglied des Koordinationsteams der Zwischennutzung Ebertplatz, gesprochen.

Die Fragen stellte Paula Döring.

Heute startet nun das Projekt „TRANSIT – vorübergehende Literatur am Ebertplatz”: erzählt gerne etwas mehr von dem Projekt und der der Idee dahinter.

Helle Habenicht: Mit dem Projekt möchten wir in Zeiten, in denen viele Kulturformate ausfallen müssen, Literatur auf eine ganz besondere Art erfahrbar machen. Dazu installieren wir am Ebertplatz ein 50 Meter langes LED-Laufbahn, auf dem wir über fünf Wochen gut 30 kurze literarische Texte präsentieren, die wir über eine Ausschreibung im Vorfeld generiert haben. Passant:innen und Interessierte werden so eingeladen, für einen Moment inne zu halten und in die “vorübergehende Literatur” einzutauchen.

Mit diesem speziellen Format möchten wir eine Alternative zu den digitalen Veranstaltungsformaten schaffen, den Ebertplatz coronakonform beleben und vielleicht sogar eine kleine Attraktion in grauen Zeiten schaffen. Und ein weiterer Benefit ist natürlich das Zusammenkommen der vielen Akteuer:innen der Kölner Literaturszene, mit denen wir das Projekt gemeinsam umsetzen.

Wie kam es dazu?

Nadine Müseler: Eingebettet ist das TRANSIT-Projekt in das städtische Zwischennutzungskonzept für den Ebertplatz, welches wir gemeinsam mit vielen Partnerstrukturen und Anwohner:innen im Frühjahr 2018 entwickelt haben. Ein Ziel von “Unser Ebertplatz” ist, den Platz zu einem Anziehungspunkt für ein interessiertes Publikum sowie Passant:innen zu machen – und genau das ist in den Winter- und Frühjahrsmonaten gar nicht so leicht. In der Sommersaison ist der Besucherandrang auf der Platzmitte, mitsamt Wasserkinetische Plastik und Gastro, praktisch garantiert: es wird im Wasser gespielt, ein Kaffee in der Sonne getrunken, man beobachtet und wird beobachtet, von alt wie jung, und kommt ins Gespräch. Aber was tun in der dunklen Jahreszeit? Die Eisbahn war in den Weihnachtswochen 2018 und 2019 ein Publikumserfolg, 2019 ergänzt von den «Kellerlichtern» mit einer Reihe kreativer Lichtkunstinstallationen und einem fast täglichen wechselnden Veranstaltungsprogramm.

Für 2020/21 galt es nun eine neue Idee zu finden und zwar so eine, die Corona-bedingt keine Veranstaltung oder eine gemeinsam zu nutzende Installation sein konnte. Nachdem wir erst an ein Mapping mit Künstlervideos auf den zahlreichen Waschbeton-Flächen dachten und Projektoren dafür testeten, die aber unser verfügbares Budget völlig gesprengt hätten, recherchierten wir auf Anraten von Marcel Panne von Lichtfaktor nach LED-Displays. Sofort war klar, dass ein 50 Meter langes LED-Display ideal für Fließtext wäre. Und da ich als Referentin nicht nur die Bildende Kunst-Szene und das Zwischennutzungskonzept am Ebertplatz betreue, sondern auch die Literatur- und Autor:innenförderung der Stadt, war die jetzt realisierte Idee schnell geboren und überzeugte das Ebertplatz-Team.

Die Jury ist bunt und divers – wer ist dabei und nach welchen Kriterien habt ihr die Mitglieder ausgewählt?

Nadine: Im November habe ich die Idee in die Runde der geförderten Literaturveranstalter:innen kommuniziert und die Frage gestellt, ob sie sich vorstellen könnten, die LED-Displays im Zuge der ersten (Corona-)Lockerungen als Vermittlungsmedium für Literatur im öffentlichen Raum zu nutzen.

Da viele zu diesem Zeitpunkt genauso frustriert über den erneuten Lockdown waren, wie die gesamte Kulturszene, ließen die positiven Reaktionen nicht lange auf sich warten: die Lesereihen Land In Sicht (zugleich Veranstalter zweier Festivals) und der Literaturklub, das Literaturmagazins KLiteratur, das Festival Insert Female Artist und das Veranstaltungsformat HEIMSPIEL sowie freie Akteur:innen sagten zu. Alle sind in der Autor:innenszene extrem gut vernetzt und haben zum Teil auch schon selbst literarische Ausschreibungen organisiert. Genau dies waren für mich Kriterien, diese Strukturen anzusprechen. Als Vertreterin der Kunsträume am Ebertplatz war noch Meryem Erkus beteiligt und Helle Habenicht in ihrer koordinierenden Funktion für das dortige Zwischennutzungsprojekt.

In den vergangenen Wochen wurde dann gemeinsam die Ausschreibung lanciert, mehrere Jurysitzungen abgehalten, das Programm gestaltet und begleitend die  Öffentlichkeitsarbeit vorbereitet. 

Habt ihr inhaltlich einen Schwerpunkt gesetzt und welche Ansprüche gab es an die 31 ausgewählten Texte?

Helle: Zunächst einmal waren wir vollkommen überwältigt von der großen Beteiligung, denn es gingen knapp 600 Texte bei uns ein; die Auswahl fiel da natürlich nicht leicht! Neben der literarischen Qualität der Texte, zählte inhaltlich z.B. ein thematischer Bezug zur aktuellen Zeit oder alternativ auch die kreative Auseinandersetzung mit dem Ebertplatz.

Wer die Texte in ihrer Abfolge liest, wird merken, wie divers letztlich auch die Einsendungen waren, aus denen eine Auswahl getroffen wurde. Sie wurden von den Literaturveranstalter:innen für das LED-Display dann so zusammengestellt, dass wir jeden Tag einen Block von fünf bis sechs Texten präsentieren, die gut zusammen funktionieren und so rund wirken. Täglich ab 20 Uhr – sozusagen zur “Prime Time” – ziehen alle Texte über das Laufband.

Literatur zum Stehenbleiben, Mitlesen, als Alternative zu Lesungen im öffentlichen Raum und sicher auch als Kunstform – welche Reaktionen erhofft ihr euch?

Helle: Wir hoffen natürlich, dass das Projekt vor allem Neugierde weckt und Vorbeigehende auf eine positive Weise überrascht, vielleicht auch ein wenig irritiert.  Nicht Wenige werden den Einsatz der LED-Laufschrift sicherlich für eine Werbemaßnahme halten und die literarischen Texte erst beim genaueren Hinsehen (als solche) erkennen. Dass hier die Nutzung umcodiert wird und sich damit künstlerische Inhalte den  – sonst stark von Werbung vereinnahmten – öffentlichen Raum aneignen, ist ein wichtiges Signal.

Nadine: Der Überraschungseffekt erscheint uns fast garantiert, weil es eine vergleichbare Aktion mit Literatur im öffentlichen Raum in Köln noch nicht gab. So sehr die Nachteile der Ebertplatz-Gestaltung immer wieder in der Öffentlichkeit thematisiert werden, so ideal ist der Platz für ganz viele Veranstaltungsformate und eben auch prädestiniert für solche Experimente.

Neben den vielen täglichen Passant:innen wird durch den großen Wirkungskreis der beteiligten Literaturveranstalter*innen sicherlich auch das Kölner Literaturpublikum einen bewussten Besuch oder Spaziergang über den Platz einplanen – vielleicht schon am ersten Osterwochenende. Und darum geht es uns: immer wechselnde Veranstalter:innen in die Zwischennutzung einzubeziehen und immer neue Zielgruppen an den Platz zu ziehen, die dort Neues erleben, im besten Fall eine Beziehung zum Platz aufbauen und existierende Klischees vom Platz überdenken oder (ihrerseits) im Gespräch mit Dritten aufbrechen.

Auch die Literaturszene Köln e.V. unterstützt das Projekt, wie wird es in Gänze finanziert?

Nadine: TRANSIT wird aus städtischen Geldern finanziert. Der Rat hat in seiner Sitzung im März 2018 für die Zwischennutzungszeit bis zum Sommer 2021 ein jährliches Budget beschlossen, das für Projekte diverser Art am Ebertplatz verwenden werden soll. Dies können soziokulturelle, niederschwellige Partizipationsprojekte, gestalterische Interventionen oder Kunstaktionen sein. Es freut uns, dass auch die Literaturszene Köln e.V. als Zusammenschluss und Interessensvertretung an TRANSIT beteiligt ist und die Aktion und deren Vermittlung an die Öffentlichkeit unterstützt.

Die Diskussionen um den Ebertplatz reißen nicht ab, wie ist der aktuelle Stand von Seiten der Stadt Köln?

Helle: In der Tat – kaum ein Ort in Köln wird seit Jahren so kontrovers diskutiert wie der Ebertplatz, übrigens auch innerhalb der Verwaltung und des Stadtrates! Beide halten jedoch weiter an einer langfristigen Umgestaltung fest, wobei noch nicht entschieden ist, ob es eine komplette Neuplanung wird, oder mit dem Bestand gearbeitet wird. Sicher ist hingegen, dass die Planung noch etwas Zeit braucht, weshalb der Stadtrat vor dem Jahreswechsel eine Verlängerung der Zwischennutzung beschlossen hat. Der erste Nutzungszeitraum läuft in diesem Juni aus und –  wie Nadine schon erwähnte – arbeiten wir bereits an einem Konzept für die “Zwischennutzung 2.0”.

Stichwort Netzwerkarbeit: wie nehmt ihr die Vernetzung innerhalb der Szene wahr, welche Rolle spielt die Literatur in diesem Kontext für euch? Hat sich der Dialog zwischen den Sparten seit der Pandemie verstärkt?

Nadine: Die Vernetzung innerhalb der Kunst- und Kulturszene nimmt seit einigen Jahren stetig zu. Als ich 2015 meinen Job als Referentin im Kulturamt antrat, gab es im Bereich der Kunst nichtmals eine Übersicht aller freien Kunsträume von Köln – heute sind diese im Netzwerk der “Art Initiatives Cologne (AIC)” vereint. Sie kennen sich untereinander, bestärken sich und setzen gemeinsame Projekte um. Ebenso die Literaturszene, die seit der Kulturentwicklungsplanung 2018, mit Eröffnung des Kölner Schreibraumes, den jährlichen Treffen zum Saisonauftakt oder -ausklang und der Gründung der Literaturszene e.V. in immer engerem Austausch steht. Bei der Vernetzung der Literaturszene mit anderen Sparten haben – aus meiner Sicht – auch die neuen Festivals entscheidende Impulse gesetzt, wie das “Auftakt Festival für szenische Lesungen”, das “Satelliten – Interdisziplinäre Lyrikfestival” oder das “Insert Female Artist Festival”. Der Ebertplatz ist seinerseits ein Kulturstandort, an dem fast alle Sparte bereits seit Jahren aktiv sind, die Literaturszene allerdings noch wenig. Dabei kann ich mir auch hier einige Formate sehr gut vorstellen.

Ob sich der Dialog zwischen den Sparten seit der Pandemie generell verstärkt hat, kann ich nur schwer beantworten. Ich denke aber, dass die Umsetzung von gemeinsamen Projekten und Begegnungen in der Realität immer noch stärker verbindet als die Teilnahme an Onlineformaten oder -konferenzen.

Was erhofft ihr euch von Transit Ebertplatz? Was ist euer Wunsch für die Zukunft der Szene?

Nadine: Was ich mir von TRANSIT erhoffe? Jede Menge erstaunte Blicke, Gespräche und spontane Meinungsäußerungen – wie sie von Passant:Innen des Ebertplatzes typisch sind – und natürlich auch Nachfolgeprojekte. Eines steht bereits fest: nach TRANSIT werden Künstler:innen aus dem Bereich der Medienkunst ein visuelles Programm für das 50 Meter breite LED-Display gestalten bzw. programmieren. Ich denke, auch in diesem Fall wird es ein spannendes Programm geben.

Was ich mir für die Szene wünsche? Puh, wo soll ich anfangen? Zuallererst hoffe ich, dass der “Kunststandort Ebertplatz” als Mehrwert gesehen, erhalten und idealerweise in eine Kunsthalle überführt wird. In anderen Städten gibt es eine ganze Reihe von Beispielen wie dies architektonisch aussehen könnte. Ebenso wünsche ich mir, dass die freie Szene noch stärker internationale Positionen nach Köln einladen kann, die auch über Kunst- und Literaturszenen jener Länder und Regionen sprechen, die in Köln wenig oder gar nicht thematisiert werden. Zugleich wäre es für Köln sinnvoll, die Kunst- und Literaturvermittlung mit bestimmten Formaten noch stärker in jene Stadtviertel zu verlagern, wo vergleichsweise wenig stattfindet. Ich sehe darin nicht nur einen Benefit für das Publikum.

Für die Literaturszene wünsche ich mir ganz konkret, das wir eine stärkere und ganzjährige Vernetzung zwischen Autor:innen und Schulen etablieren können und dass die Kölner Festivals und das Kölner Literaturhaus trotz vergleichsweise knapp bemessenem städtischen Förderbudget für Literatur die nötige Unterstützung erhalten werden, um ihre tolle Arbeit fortzuführen.

Zur Person:

Nadine Müseler hat Kunstgeschichte, neuere deutsche Literaturwissenschaften und Städtebau studiert. Sie war 7 Jahren für das Kulturprogramm und die Öffentlichkeitsarbeit des Goethe-Instituts in Marokko und zuletzt ein großes EUNIC-Projekt zuständig. Seit 2015 ist sie als Fachreferentin für Bildende Kunst, Neue Medien und Literatur im Kulturamt der Stadt Köln tätig. Sie leitet stellvertretend für die Kulturverwaltung, gemeinsam mit dem federführenden Stadtraummanagement, das Zwischennutzungskonzept am Ebertplatz. Zu ihren aktuellen Projekten am Ebertplatz gehört neben TRANSIT u.a. die sukzessive Umsetzung der insgesamt sieben Rolltreppenkunstwerke.

Helle Habenicht hat Sozialwissenschaften und Urbanistik studiert und ist seit 2018 festes Mitglied des Koordinationsteams der Zwischennutzung Ebertplatz. Sie ist Ansprechpartnerin für die zahlreichen involvierten Akteur:innen, koordiniert einzelne Arbeitsgruppen und Projekte und kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit.

Weiterführende Informationen zur Zwischennutzung Ebertplatz und aktuellen Projekten und Ausstellungen:

https://unser-ebertplatz.koeln