Literaturszene Köln: Lieber André, LAND IN SICHT gibt es seit bald zehn Jahren, seit 2014 um genau zu sein, richtig?

André Patten: Ja, verrückt! Als wir 2014 angefangen haben, hätte sicher niemand von uns geglaubt, dass wir LAND IN SICHT 2023 immer noch veranstalten. Für einige Gründungsmitglieder, die es in andere Städte oder in Vollzeitstellen gezogen hat, gilt das ja auch nicht mehr.

LK: Wer sind die Gründungsmitglieder und woher kam die Idee?

AP: Von den sechs Gründungsmitgliedern sind heute neben mir noch Mario Frank und Kevin Kader in unserem Kernteam dabei. 2016 stieß Melissa Steinsiek-Moßmeier hinzu, die seitdem eine wichtige Stütze unseres Vereins ist. Über eine Lesereihe in Köln haben zumindest Kevin und ich bereits 2013 nachgedacht, nachdem wir die Reihe KABELJAU&DORSCH in Berlin kennengelernt hatten, die ein Vorbild für unser Format wurde und im Gegensatz zu unserer Reihe heute leider nicht mehr stattfindet.

LK: Wird es LAND IN SICHT in zehn Jahren immer noch geben?

AP: Schwer zu sagen! Wir haben 2014 angefangen, weil wir das Gefühl hatten, dass eine Lesereihe wie LAND IN SICHT der Kölner Literaturszene fehlt. Heute ist die Situation eine andere. Es gibt viele Akteur*innen, die neue Formate in die Stadt bringen. Klar, können wir uns vorstellen, unsere Reihe fortzuführen, aber auch unsere Leben ändern sich. Wir werden älter, es kommen neue Beziehungen, Häuser, Kinder und was das Leben sonst so bringt hinzu. Kevin zum Beispiel braut und vertreibt unter dem Label Blauer Tapir sein eigenes Bier, Mario ist als Designer stark nachgefragt. Und eins ist auch nicht unwichtig: So eine Reihe wie LAND IN SICHT besteht nur solange, wie sie gefördert wird. Mit Einnahmen aus Eintritten gegen Spende ist eine Lesereihe leider nicht zu finanzieren.

LK: Wie finanziert ihr euch denn und wie seid ihr aufgestellt?

AP: Förderungen, Förderungen und Spenden. Grundlage für unsere Formate sind fast immer öffentliche oder private Projektförderungen. Bei allen Schwierigkeiten, die durch Projektförderungen auftreten, sind wir in NRW und insbesondere in Köln hier gut aufgestellt.

LK: Wie hat es für euch angefangen, war es einfach Unterstützung zu erhalten?

AP: Unser erstes Treffen mit einer Förderinstitution hatten wir 2014 mit der damaligen Referentin für Kunst- und Literaturförderung und heutigen Leiterin des Kulturamts, Barbara Foerster. Dieses Gespräch war im Nachhinein sehr wichtig für uns. Kevin Kader und ich waren vor Ort. Wir waren ziemlich nervös, war es doch unser erster Kontakt mit der deutschen Förderwelt. Das Gespräch lief dann aber gleich sehr freundlich und konstruktiv, gar nicht so typisch wie in den Verwaltungen, die wir bislang aus anderen Ämtern kannten. Eine solche offene und zugewandte Kommunikation haben wir seitdem bei allen Förderern in NRW erlebt, worüber wir sehr dankbar sind.

Schön ist aber auch, dass unsere Arbeit mittlerweile auch von anderen Stellen geschätzt wird. So haben wir 2022 auch eine Spende vom 1.FC Köln bekommen. Seitdem warten wir darauf, dass sich REWE und BAYER bei uns melden.

LK: Wie viele Veranstaltungen richtet ihr jährlich aus?

AP: Das sind tatsächlich einige und manchmal kommen im Lauf des Jahres noch Veranstaltungen hinzu, von denen wir im ersten Halbjahr gar nicht wussten, dass es sie geben könnte. Was klar ist: Im Jahr 2023 werden wir neben der Lesereihe LAND IN SICHT auch unsere Formate SHORT STORY NIGHT, STREET ART LESUNGEN und den KÖLNER FÖRDERPREIS FÜR JUNGE LITERATUR fortführen können, worüber wir uns sehr freuen.

Dazu kommt am 5. Mai ein einmaliges, neues Format im Rahmen des ClimaX-Wochenendes von Literatur Rheinland hinzu: CLIMATE FICTION COLOGNE – ein literarischer Klima-Spaziergang zu Orten und Texten aus dem Köln der Zukunft.

Außerdem wird es eine dreiteilige Reihe zum Klassismus in der Literaturszene geben, die von Kevin Kader kuratorisch betreut wird.

Das hört sich jetzt recht viel an, ist aber weniger als es einmal war. Bis 2020 hat der LAND IN SICHT e.V. auch zwei jährliche Festivals organisiert: das AUFTAKT FESTIVAL FÜR SZENZISCHE TEXTE und die HÖRSPIELWIESE. Der Arbeitsaufwand für die Festivals war für uns neben den Berufen, die wir ausüben, nicht mehr zu stemmen. Glücklicherweise wurden die Festivals von anderen Trägern, also neuen Kulturvereinen, übernommen, die beide Formate in Köln fortführen.

LK: Wie entscheidet ihr über das Programm?

AP: Bei unseren Literaturformaten gibt es einen gemeinsamen Nenner: Wir versuchen die Veranstaltungen immer vom Publikum aus zu denken. Und dann fragen wir uns, welche Autor*innen, welche Texte passen in dieses oder jenes Format. Die Entscheidungen fallen dann in einem kontinuierlichen Gespräch und Austausch der jeweiligen Projekt-Verantwortlichen.

LK: Wie nimmst du die Kölner Literaturszene wahr und was würdest du dir für die Zukunft wünschen?

AP: Die Kölner Literaturszene hat, seitdem wir vor 9 Jahren angefangen haben, sehr viel dazugewonnen. Es ist vielfältiger geworden. Es gibt mehr Veranstaltende, mehr Formate, mehr Schreibende. Es gibt heute zwei Studiengänge, die sich an Menschen wenden, die professionell schreiben möchten. Das führt ganz von allein dazu, dass mehr Menschen in der Stadt sind, die mit ihren Texten eine Öffentlichkeit suchen. Das ist gut für Köln und für die Kölner Literaturszene.

Dazu kommt, dass es mittlerweile ein fortlaufendes Gespräch innerhalb der Literaturszene über die Bedingungen des Literaturveranstaltens und der Literaturförderung gibt. Für Menschen, die jetzt anfangen, eine unabhängige Literaturveranstaltung zu organisieren, ist es nicht mehr selbstverständlich, das ohne Bezahlung ehrenamtlich zu tun.

Während es in anderen Künsten selbstverständlich ist, die Kuration von Formaten angemessen zu honorieren, ist das in der freien Literaturszene lange nicht der Fall gewesen. Das ändert sich zum Glück gerade beziehungsweise es wird aktuell darüber und über die Art und Weise, wie Literatur kuratiert wird, mehr diskutiert.

LK: Am 20. April findet eure erste Veranstaltung in diesem Jahr statt, was genau habt ihr geplant?

AP: Ja, am 20. April findet wieder unsere Lesereihe LAND IN SICHT statt, und wir freuen uns schon sehr! Die letzte Ausgabe war im Dezember und das ist schon viel zu lange her. Seit 2022 veranstalten wir unsere Lesereihe im wunderbaren KULTURRAUM405 in Ehrenfeld. Dieses Mal sind vier Autor*innen zu Gast, die alle in Köln leben, was die oben genannte Entwicklung nochmal unterstreicht: Es gibt heute mehr Autor*innen, die in Köln leben, als es noch 2014 der Fall war.

LK: Wenn man sich in Köln für Literatur und LAND IN SICHT interessiert, kann man sich bei euch für ein Praktikum bewerben?

Nein, das ist leider nicht möglich. Wir organisieren die LAND IN SICHT-Formate neben unseren eigentlichen Berufen, das heißt, wir arbeiten in unregelmäßigen Zeiten an den Umsetzungen. Ein Praktikum sollte vor allem der Person etwas bringen, die das Praktikum ausübt, und nicht dem Arbeitgeber eine günstige Arbeitskraft zuliefern. Leider haben wir im LAND IN SICHT e.V. nicht ausreichend Kapazitäten, diesen Mehrwert herzustellen. Vielleicht sieht das in zehn Jahren aber anders aus.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen für die Literaturszene Köln stellte Paula Döring.

André Patten, geboren in Neuss, lebt in Köln und arbeitet für die Deutsche UNESCO-Kommission sowie als freier Literaturveranstalter, Autor und Dozent. 2014 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Kölner LAND IN SICHT e.V., in dem er bis heute aktiv ist. Er studierte an der Universität Bonn, der Universität Wien und der LMU München sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Für seine literarischen und künstlerischen Arbeiten erhielt er verschiedene Preise und Stipendien, unter anderem den Kölner Kulturpreis für die beste junge Initiative 2018. Sein Erzählband “So glücklich war ich noch nie” erschien 2021 im Kölner Verlag parasitenpresse.