Literaturszene Köln: Liebe Petra, lieber Martin, auf Eurem Blog BÜCHERATLAS schreibt ihr: „Lesen ist Reisen und Reisen ist Lesen“. Wann und wie seid ihr auf die Idee gekommen, das Besprechen von Büchern zu Eurem Lebensinhalt zu machen und wie lange gibt es den „Bücheratlas“ bereits?

Martin Oehlen: Wer sich erst einmal aufs Lesen eingelassen hat, kommt da ja sowieso nicht mehr raus. Das Großartige am Rezensieren ist, dass man sich besonders intensiv mit einem Text befasst. Die Lektüre ist also noch nicht beendet, wenn die letzte Seite erreicht ist. Das ist auch das zentrale Vergnügen, das uns der „Bücheratlas“ seit nun schon fünf Jahren bereitet.

Literaturszene Köln: Wie oft erscheinen Eure Artikel?

Petra Pluwatsch: Wir versuchen, jede Woche drei bis vier Beiträge zu veröffentlichen. Aber das ist natürlich saisonabhängig. Und wenn wir mal nicht im Lande sind, wird das Angebot auch etwas karger. Aber auf rund 200 Artikel im Jahr kommen wir schon.

Literaturszene Köln: Seid Ihr festgelegt auf bestimmte Genres? Wofür schlägt Euer Herz besonders, für welche Art von Literatur oder welche Autor:innen?

Martin Oehlen: Um es mal besonders undifferenziert zu sagen: Alles, was gut ist, ist willkommen. Es gibt schon den Ehrgeiz, die literarischen Neuerscheinungen auf dem Blog zu haben. Natürlich nicht alle, auch nicht alle, die es wert wären, weil die Zeit dafür dann doch nicht reicht. Wir lesen, was uns interessiert. Spezialitäten erlauben wir uns allemal. Da findet dann auch die Neuübersetzung und Neuverortung der Konfuzius-Gespräche von Hans van Ess einen Platz. Das ist kein Bestseller, aber eine tolle Sache.

Petra Pluwatsch: Tatsächlich gibt es bei uns auch ein Krimi- und Thriller-Segment, um das ich mich kümmere. Das Genre hat mich immer schon gereizt – ob als Rezensentin in der Tageszeitung, als Jurorin bei der „Crime Cologne“ oder als Bloggerin. Dafür haben wir bei uns die Rubrik „Mordsbücher“.

Literaturszene Köln: Eure Rezensionen stellt Ihr frei zur Verfügung, sowohl über Eure Website als auch Eure Social-Media-Kanäle. Wie finanziert Ihr Euch, werdet Ihr gefördert und/oder habt Kooperationspartner?

Petra Pluwatsch: Der Eintritt ist frei. Wir schreiben, weil wir gerne schreiben. Dass die „Bücheratlas“-Texte dann auch wahrgenommen werden, ist natürlich sehr schön. Die Zustimmung unserer Leserinnen und Leser motiviert enorm. Aber Geld verdienen wir mit unseren Besprechungen nur, wenn wir sie in Zeitungen oder Zeitschriften veröffentlichen.

Martin Oehlen: It’s a free concert! Der Blog wirft keinen Cent ab. Und die Vokabel „Förderung“ müsste ich erst einmal googeln.

Literaturszene Köln: Ihr beide wart lange in leitenden Funktionen in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ tätig. Es gibt also kaum jemanden, der die (Literatur-)Szene der Stadt besser kennt als Ihr. Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Wie nehmt Ihr die Literaturszene wahr?

Martin Oehlen: Die Kölner Literaturszene ist so vital wie wohl noch nie in der Geschichte der Stadt. Das gab es nicht bei den Römern, obwohl schon die CCAA eine Bibliothek hatte, nicht zu Zeiten von Albertus Magnus oder Ferdinand Franz Wallraf, auch noch nicht zu Heinrich Bölls Nachkriegszeiten. Wohin man heute schaut, regt sich was Literarisches. Die Gründung des Vereins Literaturszene Köln ist dafür ein guter Indikator. Es sind sind ja nicht nur die großen Auftritte wie sie das Literaturhaus Woche für Woche bietet, die lit.Cologne mit ihren zwei Festival-Auftritten im Jahr oder zuletzt wieder die Poetica. Es finden sich so viele Angebote in einer mittleren und kleinen Dimension, die das Hinschauen lohnen. Da gibt es hier ein Stadtteil-Festival, dort die Einladung zu einer Lyrikwanderung. Bis hin zu den Initiativen von Autorinnen und Autoren in eigener Sache. Vieles davon ohne Förderung durch Stadt, Land, Bund. Das ist ein gigantischer Literaturchor aus sehr eigenen Stimmen.

Literaturszene Köln: Gibt es etwas in der aktuellen Situation, was Euch stört?

Petra Pluwatsch: Mich – beziehungsweise uns – hat sehr gewundert, dass aus dem Nichts heraus eine Debatte um die Stadtbibliothek angezettelt worden ist. Es ist bekanntlich die mit weitem Abstand am stärksten genutzte kulturelle Einrichtung in Köln. Ein Erfolgsmodell in jeder Hinsicht, auch bundesweit hoch angesehen. Da kann man doch nicht urplötzlich die seit langem geplante Sanierung infrage stellen und sogar eine Aufsplitterung der Institution auf mehrere Standorte erwägen. Hat das jemand verstanden? Immerhin scheint die Kuh jetzt vom Eis zu sein. Bedauerlich finde ich auch, dass das Festival „Crime Cologne“ in diesem Jahr ausfällt.

Literaturszene Köln: Wonach wählt Ihr aus, was Ihr als nächstes lest und besprechen wollt?

Petra Pluwatsch: Wir besprechen nur Bücher, die wir auch empfehlen können. Manchmal sind es Empfehlungen mit dem einen oder anderen Einwand. Aber für Totalverrisse ist uns die Zeit zu schade. Im Prinzip sind wir schon darauf aus, die Aktualitäten des Buchmarkts zu spiegeln. Die offiziellen Erscheinungstage, die die Verlage vorgeben, sind eine Orientierung.

Literaturszene Köln: Habt Ihr Empfehlungen, wo man sich in Köln am besten literarisch inspirieren lassen kann?

Martin Oehlen: Ich finde, dass es für die Lese-Inspiration keine besseren Orte gibt als die Buchhandlungen. Mir fällt keine Buchhandlung ein, ob im Zentrum oder in einem der elftausend Kölner Stadtteile, die nicht die Lust auf einen neuen Titel wecken kann. Dass wir dann auch noch Klaus Bittner und die Lengfeld’sche haben, die zum Niederknien verleiten, weil Angebot, Ambiente und Kompetenz überragend sind, ist umso schöner.

Literaturszene Köln: Habt Ihr Lieblingsorte zum Lesen und Schreiben?

Petra Pluwatsch: Lesen kann ich fast überall, wo es trocken und einigermaßen warm ist. Gerne auch im Café. Schreiben geht nur am Schreibtisch.

Martin Oehlen: Unterwegs bin ich ein sehr mieser Leser, weil mich da viel zu viel ablenkt. Ein Leseplatz in der vertrauten Wohnung ist also unschlagbar.

Literaturszene Köln: Welches Buch könnt Ihr als Lektüre für die vielen langen Wochenenden im Frühjahr empfehlen?

Martin Oehlen: Wenn ich schaue, was das Jahr bislang gebracht hat, dann kommt da schon einiges zusammen. Großartig finde ich „Frankie“ von Michael Köhlmeier. Judith Hermanns „Wir hätten uns alles gesagt“ ist erhellend und – was man von einer Poetikvorlesung sicher nicht erwartet – berührend. Mein Toptipp des Frühjahrs: die wahnwitzig-realistischen „Stories“ von Joy Williams.

Petra Pluwatsch: Gepackt hat mich zuletzt Esther Schüttpelz, die in „Ohne mich“ eine Single-Frau mit scharfer Zunge vorstellt. Außerdem gibt es da den fantastischen Debütroman „Kentucky“ von Lee Cole. In der Thrillerecke kann ich immer wieder Horst Eckert empfehlen, von dem ja gerade „Die Macht der Wölfe“ herausgekommen ist. Noch ein Spezialtipp: der historische Kriminalroman „Kalt fließt die Mosel“ von Petra Reategui.

Literaturszene Köln: Welche Reise steht als nächstes an?

Petra Pluwatsch: Das ist eine Frage, die zum richtigen Zeitpunkt kommt. Denn ich muss gleich noch meine Sachen packen, weil wir morgen nach Südkorea aufbrechen. Ein erster Versuch, dorthin zu reisen, platzte wegen der Pandemie. Jetzt sollte es klappen.

Martin Oehlen: Südkorea ist übrigens ein Land, das nicht nur mit K-Pop und Kino punktet, sondern auch mit Büchern wie „Die Vegetarierin“ von Han Kang oder „Die Aufzeichnungen eines Serienmörders“ von Young-ha Kim. Darf ich noch anfügen, dass beide Titel auf dem „Bücheratlas“ besprochen sind?

www.buecheratlas.com

Literaturszene Köln: Danke für das schöne und anregende Gespräch!

Die Fragen für die Literaturszene Köln stellte Paula Döring.