Literaturszene Köln: Liebe Tanja Rauch, Sie verantworten im DuMont Buchverlag den Programmbereich Sachbuch. Worin liegen Ihre Aufgaben und wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Tanja Rauch: Den größten Teil meiner Zeit nimmt die Programmarbeit ein, also die Suche nach und Positionierung der kommenden Büchern. Am Anfang stehen da die Fragen: Welche Themen könnten Leser:innen jetzt interessieren? Was fehlt auf dem Buchmarkt? Oder auch: Welche Art von Sachbuch passt noch in das jeweilige Programm? Dazu prüfen wir ziemlich viele Manuskripte, die uns nationale und internationale Agenturen oder Autor:innen zuschicken. Aber auch das eigene Suchen nach Themen und Autor:innen gehört dazu. Eine solche „Kaltakquise“ ist zum Beispiel das Buch „Wir schlechten guten Väter“ von Tobias Moorstedt, das dieses Frühjahr bei uns erscheinen wird. Darin schreibt Moorstedt über das Thema Care-Arbeit, darüber, warum Männer sich noch immer erfolgreich davor drücken. Dazu hatte er einen tollen Artikel veröffentlicht, der mich begeistert hat. Deshalb habe ich Kontakt zu ihm aufgenommen und gefragt, ob er nicht ein Buch zu diesem Thema schreiben möchte. Ich wollte schon lange ein Buch über Gleichberechtigung, geschrieben von einem Mann. Einen weiteren Teil meiner Zeit nimmt die Kommunikation ein – mit den Agenturen, Autor:innen und Kolleg:innen.

Wir Lektor:innen sind ja erst einmal die Brücke zwischen den Autor:innen und dem Verlag. Wir kalkulieren die Bücher, erstellen Konkurrenzanalysen, handeln die Verträge aus, suchen Übersetzer:innen, Illustrator:innen oder Außenlektor:innen und überlegen gemeinsam mit den Autor:innen die Titelformulierungen. Wir erzählen den Grafiker:innen, um was für ein Buch es sich handelt, und schreiben ein Briefing für sie. Wir schreiben Ankündigungs- und Klappentexte. Und natürlich betreuen wir dann die Produktion des Buchs und arbeiten dabei mit allen Abteilungen im Haus zusammen: Herstellung, kaufmännische Abteilung, Presse, Marketing- und Vertrieb, Lizenzabteilung, digitale Abteilung usw. Wir holen Abdrucks- und Bildrechte ein, arbeiten am Register, dem Literaturverzeichnis und anderen Rubriken im Anhang. Die Arbeit am Text, die die meisten Menschen mit dem Berufsbild des Lektors oder der Lektorin verbinden, nimmt nur einen kleinen Teil unseres Arbeitsalltags ein.

LS: Wie viele Titel betreuen Sie im Schnitt?

TR: Wir Verlagsleute unterscheiden zwischen Frühjahr- und Herbstprogramm, in diesem Rhythmus verläuft das Verlagsjahr, auch wenn die Bücher dann verteilt über alle sechs Monate der jeweiligen Saison erscheinen können. Pro Programm erscheinen bei uns vier bis sechs Sachbuchtitel im Hardcover, also acht bis zwölf im Jahr. Dazu kommen noch einige Taschenbücher, die im Bereich Sachbuch oft „Übernahmen“ aus früheren Hardcover-Programmen sind, manchmal aber auch Originalausgaben. Gemeinsam mit einer Volontärin oder einem Volontär betreue ich alle Sachbücher, aber ich redigiere sie nicht alle selbst – das würde ich schlicht nicht schaffen. Im Schnitt redigiere ich zwei Bücher pro Saison, meistens Spitzentitel und deutschsprachigen Autor:innen.

LS: Wussten Sie schon immer, dass Sie Lektorin werden wollen und wie sind Sie dazu gekommen?

TR: Als ich mit meinem Studium (Germanistik, Philosophie, Soziologie und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Frankfurt/M.) begann, hatte ich keine sehr konkrete Berufsvorstellung. Ich habe nach heutigen Maßstäben lange studiert (auch ein bisschen Kunstgeschichte und Erwachsenenbildung) und wollte eigentlich Hörspielregisseurin werden, obwohl ich glaube, diese Idee kam mir erst während des Studiums. Nach meinem Studium entstanden überall in Deutschland private Radiosender und in Konkurrenz dazu wurden auch bei den Öffentlich-Rechtlichen die Wortbeiträge zugunsten von Musik gekürzt. Diese Beiträge hießen dann vielsagend „Wortinseln“. Da waren Hörspiele nicht sehr gefragt. Ich habe dann einfach angefangen als freie Literaturjournalistin für viele Zeitungen und Zeitschriften und Sendeanstalten gearbeitet. Die erste Radiosendung, die ich verkauft habe, war eigentlich meine Magisterarbeit über die Lyrikerin Gertrud Kolmar, die ich als Stundensendung bei Karl Corino beim Hessischen Rundfunk machen konnte. Mein Weg ist ein bisschen verschlungen … nach einigen Jahren als Literaturjournalistin, Außenlektorin und Herausgeberin zweier Anthologien bin ich in die Schweiz gegangen und habe dort für Ringier als Redakteurin, Textchefin und Produzentin für ein Magazin gearbeitet sowie in der Entwicklungsredaktion für eine Wochenzeitung. Von Zürich aus bin ich dann nach Köln gekommen, um bei DuMont – mein dritter Job – das Sachbuchprogramm aufzubauen. Damals gab es noch kein populäres Sachbuch bei uns. Aber das war wohl ein eher ungewöhnlicher Weg, ich habe nie ein Praktikum oder Volontariat gemacht, und ich war auch nie Lektorin, bevor ich Programmleiterin wurde. Das war alles sehr oft Zufall.

LS: Wie gehen Sie bei der Programmarbeit vor, was macht ein gutes Verlagsprogramm im Sachbuch für Sie aus?

TR: Das populäre Sachbuchprogramm eines Verlags ist meist heterogener als die Belletristik. Man kuratiert das jeweilige Programm so, dass man unterschiedliche Zielgruppen anspricht; die Bücher sollen sich nicht kannibalisieren. Natürlich wünscht man sich, dass der Buchhändler und die Buchhändlerin bei jedem Buch denken, dass sie es unbedingt brauchen. Im Sachbuch gibt es ja viele Untergenre wie Biografie, Memoir, Nature Writung, Populärwissenschaft (Politik, Psychologie, Medizin, Geschichte, Wirtschaft), True Crime, Ratgeber usw. Wir schauen, was da gerade auf Interesse stößt und was zudem zu DuMont passt. Aber die wesentlichste Frage ist immer: Was könnte die Leser:innen interessieren?

LS: Ich kann mir vorstellen, dass man im Bereich Sachbuch oft über ein umfangreiches, themenspezifisches Hintergrundwissen verfügen muss. Wie tief tauchen Sie in das jeweilige Thema ein, was muss man aus Ihrer Sicht als gute Sachbuch-Lektorin mitbringen?

TR: Wichtig für eine Lektorin, einen Lektor im Sachbuch ist intellektuelle Neugierde, Genauigkeit, Sprachvermögen, Marktkenntnis und Kenntnisse über literarische Gestaltungsmittel, denn das populäre Sachbuch wird ja immer erzählerischer. Wenn aber ein Buch thematisch sehr speziell ist, dann gebe ich es zur fachlichen Prüfung an externe Mitarbeiter. Beispielsweise habe ich mal ein schönes Buch mit einer forensischen Anthropologin gemacht – „Alles, was bleibt“ von Sue Black –, das habe ich von einem Anatomen am Ende gegenlesen lassen. Oder das Buch des Genetikers David A. Sinclair, das hat Sebastian Vogel übersetzt, der Übersetzer und promovierter Biologe ist. Aber man kann sich als Lektor:in auch in Themen einarbeiten und vor allem muss man wissen, wo man Fakten checken kann.

LS: Seit Beginn der Pandemie, finden Messen gar nicht oder nur sehr begrenzt statt, welche Auswirkungen hat das auf Ihr Berufsfeld? Wie wichtig ist der Austausch mit Kolleg:innen?

TR: Wir haben all die Monate versucht, uns digital auszutauschen – und das hat auch ein Stück weit geklappt. Doch je länger die Pandemie andauert, desto schwieriger wird es. Ich merke, dass etwas Grundlegendes fehlt. Im Digitalen beschränkt man sich meist auf den reinen Informationsgehalt, aber Bindung, Kreativität und Ideen entstehen im persönlichen Austausch – und der muss dann irgendwann wieder stattfinden. Man kann eine über Jahre und bei vielen Treffen entstandene Beziehung zum Beispiel zu einer Agentin oder einem Übersetzer digital aufrechterhalten, aber neue knüpfen kann man nicht. Deshalb ist es in der Pandemie, glaube ich, besonders schwer für Berufseinsteiger:innen. Was mir aber auch sehr fehlt, sind die Begegnungen mit den Autor:innen, die zwar weniger auf den Messen, aber bei Gesprächen über die Schreibarbeit und Projekte, während des Lektorats, bei Lesungen oder auf Festivals stattfinden. Es ist ein Leben wie unter Wasser – es wird Zeit, dass wir auftauchen können.

LS: Seit 2006 sind Sie bei DUMONT tätig und somit in Köln. Wie nehmen Sie die Literaturszene in Köln wahr?

TR: Wir sind im Sommer der Fußballweltmeisterschaft und Hitzewelle angekommen, in eine euphorisierte, beinahe südländische Stadt. Ich wohne wirklich sehr gerne hier. Köln ist eine Literaturstadt, keine Frage. Es gibt hier großartige Buchhandlungen, tolle Verlage, ein engagiertes, schönes Literaturhaus, Veranstaltungsreihen wie Literatur in den Häusern, nun auch das Kölner Buchfest, die LitCologne und natürlich viele tolle Autor:innen – obwohl einige nach Berlin gegangen sind. Und es gibt viele interessierte und beschlagene Leser:innen. Gleichzeitig empfinde ich die Literaturszene nicht als sehr offen, obwohl Offenheit ja als Kölner Markenzeichen gilt. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es punktuelle Literaturszenen gibt, aber nicht viel Gemeinsamkeit. Aber dieses Gefühl kann natürlich auch an meiner Perspektive liegen. Mit zwei Kindern und meinem Beruf bringe ich mich vielleicht auch nur sehr punktuell ein. Und natürlich hat auch Corona eine tiefe Schneise in das literarische Leben geschlagen – ach, ich vermisse die gemeinsamen Karnevalspartys mit Lübbe, den KiWis und DuMont!

LS: Gibt es etwas, dass Sie sich für die Literaturszene wünschen würden?

TR: Ich glaube, es fehlt ein Raum der Begegnung. Unserem wunderschönen Literaturhaus fehlen ein Café/Restaurant und ein Buchladen. Zumindest habe ich die Cafés in den Literaturhäusern von Frankfurt/M. und Berlin als echte Treffpunkte in Erinnerung. Man hat sich dort für Interviews mit den Autor:innen verabredet, ging nach Lesungen dorthin, konnte einfach vorbei gehen, und es war immer jemand da. Und oft haben sich Runden zusammen gefunden. Lunkewitz hat dort seine Märchen-Literaturtheorie erklärt, es wurde über die Rede von Walser in der Paulskirche gestritten, zwischen den FAZ-lern und den linken Verlagsleuten ging es zur Sache, und Gerald Zschorsch schien immer da zu sein – na ja, man verklärt die Vergangenheit. Aber das würde ich mir wünschen – ein bisschen Schokoladenmuseum-Feeling übers Jahr.

Wir danken für das Gespräch.

Die Fragen stellte Paula Döring für die Literaturszene Köln e.V.