Literaturszene Köln: Liebe Sandra, das auftakt festival gibt es seit 2017. Ihr versteht euch als interdisziplinäres Literaturfestival. Was genau können wir uns darunter vorstellen, welche Kunstformen kooperieren bei euch mit der Literatur und wie können wir uns das im Detail vorstellen?
Sandra Riedmair: Im Grunde bieten wir einen Raum für alle Kunstformen neben der Literatur, u.a. Performance, Tanz, Sound oder seit diesem Jahr auch Film. Einzige Voraussetzung ist, dass der Text darin eine Rolle spielt. Egal ob als Ausgangspunkt oder finales Produkt. Der Text ist aber nicht in seiner Form definiert. Das heißt, bei uns kommen Menschen zusammen, die vielleicht schreiben und ihren Text öffnen wollen für neue Darbietungsformen oder aber etwas im Kopf haben, wo Text vorkommen kann – eine Lecture Performance auf der Grundlage einer Soundinstallation z.B., also Leute, die sich bislang vielleicht mit ganz anderen Kunstformen beschäftigt haben und gerne mit anderen kollaborieren möchten.
Es gibt immer mehr Menschen, die z.B. aus der Kunst kommen und schreiben und die andere Ausdrucksformen suchen als die klassische Lesung. Gleichzeitig suchen Leute, die schreiben, nach Möglichkeiten, wie ihr Text abseits des Papiers oder der Bühne Verwendung finden kann. Das auftakt ist in unserem Verständnis ein Ort, an dem Literatur, Lesungen – aber auch das Schreiben selbst – prozesshaft im Austausch mit anderen gedacht und ausprobiert wird.
Literaturszene Köln: 2021 habt ihr euch neu strukturiert, was hat sich seitdem verändert?
Sandra Riedmair: Bis 2021 gab es im Bewerbungsprozess die Unterscheidung zwischen Autor:innen, die einen fertigen Text eingereicht haben, und Künstler:innen (bzw. Performer:innen), die diesen Text dann auf die Bühne bringen.
Wir haben diese Unterscheidung aufgebrochen und überlassen es den Teilnehmenden, in welcher Rolle sie sich bei der Entwicklung des Festivals beteiligen wollen. Im Vorfeld gibt es dafür Workshops, bei denen das kollaborative Arbeiten im Mittelpunkt steht und die das Experimentieren mit anderen Kunstformen ermöglichen.
Literaturszene Köln: Wie setzt sich euer Team zusammen, wie teilt ihr euch auf?
Sandra Riedmair: Wir sind ein Kernteam von 3-4 Personen, je nach Kapazitäten: Katherina Gorodynska, Melissa Steinsiek-Moßmeier, Emina Faljic und ich. Konzeptionell und was den Auswahlprozess betrifft entscheiden wir gemeinsam. Eine Aufteilung gibt es dann zwischen Produktion, Öffentlichkeitsarbeit und Gästebetreuung. Drumherum sind aber noch viele andere Leute, hauptsächlich Freund:innen, die bei der Umsetzung helfen.
Literaturszene Köln: Du arbeitest u.a. noch für das Kurzfilmfestival Oberhausen, die Niehler Freiheit und das Kurfilmfestival Köln. Für dich persönlich, wie unterscheidet sich die Arbeit am auftakt festival im Vergleich zu der Arbeit an deinen anderen Projekten?
Sandra Riedmair: Bei den anderen Festivals mache ich andere Aufgaben, da moderiere ich z.b. oder mache Videos, es gibt also einen klassischen Arbeitgeber. Mit der Niehler Freiheit dagegen hat eigentlich alles angefangen, was ich jetzt tue. Katherina und ich haben uns in der Niehler Freiheit kennengelernt und dort Filmveranstaltungen organisiert. Es war und ist immer noch ein sehr freier Ort, um Dinge auszuprobieren und in Kontakt mit der Kulturszene zu kommen. Und so empfinde ich das auftakt festival jetzt auch. Wir erfinden es jedes Jahr ein bisschen neu und freuen uns über die vielen Einflüsse, die die Leute mitbringen, die sich auf und hinter der Bühne daran beteiligen.
Literaturszene Köln: Wie nimmst du allgemein die Literaturszene in Köln war, was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Sandra Riedmair: Schwer zu sagen, weil ich nicht so ein Gefühl für die ganze Szene habe. In den Monaten vor auftakt fällt mir dann plötzlich ganz viel auf, was wahrscheinlich mehr am Algorithmus liegt als am Angebot. Aber ich beobachte schon, dass es immer mehr Bestrebungen gibt, die Lesung von der Bühne zu holen, z.B. in den öffentlichen Raum – also auch hin zur Performance. Nicht ausschließlich, es entstehen ja auch neue Lesereihen, was ich persönlich sehr schön finde, weil ich diese Form sehr gerne mag. Auch der Studiengang literarisches Schreiben an der KHM trägt dazu bei, dass sich die Formate verändern oder neue dazu kommen. Aber ja, die neuen Formate, die in den letzten Jahren entstanden sind, erweitern den Literaturbegriff tendenziell und nähern sich anderen Disziplinen an.
Literaturszene Köln: Nochmal zurück zum Festival: Wer kann sich bei euch bewerben und bis wann?
Sandra Riedmair: Grundsätzlich ist jede*r willkommen. Die Leute sollten ihrer eigenen Einschätzung nach eher am Anfang ihrer Karriere stehen und Lust haben ihre künstlerischen Positionen für andere zu öffnen und gemeinsam etwas zu entwickeln. Neben den eingereichten Arbeiten wollen wir in diesem Jahr eine Publikation herausgeben. Die Texte dafür werden sehr kurzfristig entstehen, entweder im Alleingang oder kollaborativ. Dafür haben wir die tolle Essayisten Lilian Peter eingeladen. Einsendeschluss ist der 1.10 – also schon recht bald.
Literaturszene Köln: Wann veröffentlich ihr euer Programm und magst du schon die Spielorte 2023 verraten?
Sandra Riedmair: Ich denke so etwa 1-2 Wochen vor dem Festival. Also Mitte November.
In diesem Jahr sind wir gleich an vier Orten rund um den Ebertplatz. Im Gold und Beton, der oté Bar, im funk Magazinladen und im Filmhaus.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Sandra!
Sandra Riedmair arbeitet als freie Filmemacherin, Moderatorin und Kuratorin, studiert an der Kunsthochschule für Medien und organisiert verschiedene Formate in der Kulturszene von Köln. Neben dem Auftakt Festival ist sie u.a. für das Kurzfilmfestival Köln, die Kurzfilmtage Oberhausen und die Niehler Freiheit tätig. Zuvor studierte sie Sozialwissenschaften und Medienkulturanalyse in Köln, Düsseldorf, Wien und Nantes. In Köln lebt sie seit 15 Jahren aus Versehen.