Am 31. März 2021 geht Gerd Winkler nach mehr als 30 Jahren als Verwaltungsmitarbeiter im Kulturamt der Stadt Köln in den Ruhestand. Mehr als 30 Jahre Kultur und Literatur in Köln – die Autorin Ulrike Anna Bleier und Bettina Fischer, Leiterin des Literaturhauses Köln, haben mit ihm über Kultur im Wandel der Zeit, Verantwortung, die Stadt Köln und natürlich über Literatur gesprochen. Das Gespräch fand bereits im vergangenen Jahr statt – wir veröffentlichen es erstmalig anlässlich seines Abschiedes.

Wir danken für die wertvollen gemeinsamen Projekte, wünschen ihm von Herzen alles Gute und sagen jetzt erst einmal: Adieu!

Von Ulrike Anna Bleier und Bettina Fischer.

Seit 1989 ist Gerd Winkler im Kulturamt der Stadt Köln tätig. Dies ist sein erstes Interview. 

Lieber Gerd Winkler, danke, dass du dich bereit erklärt hast, mit uns zu sprechen. Seit wann bist du im Kulturamt tätig?

Ich habe 1989 angefangen mit Literatur. Vorher war ich zwei Jahre in einem anderen Bereich, da ging es um Ausschüsse. Also sind es jetzt 31 Jahre plus ein paar Monate. Davor war ich in einem Wirtschaftsverband tätig. Und habe dort Anträge auf Fördermittel verschiedener Bundesministerien bearbeitet.

Was hat dich bewogen, ins Kulturamt zu wechseln?

Das waren vor allem praktische Gründe. Die Förderprogramme waren damals noch zeitlich befristet und deshalb war natürlich auch meine Tätigkeit im Wirtschaftsverband befristet. Wenn du eine Familie gründen möchtest, ist das natürlich eine schwierige Situation. So bin ich hier gelandet, als Quereinsteiger, ich bin kein Verwaltungsmensch in dem Sinne. Ich habe an der FH Köln Betriebswirtschaft studiert, bin also Diplom-Betriebswirt.

Wenn wir das gewusst hätten!

Da hätte sich nichts geändert.

Dann hätten wir viel kompliziertere Anträge gestellt.

Ich habe wahrscheinlich eine größere Affinität zu Zahlen als viele andere.

Wie war damals die Situation im Kulturamt?

Es gab für die Projektförderung zwei Referenten, Winfried Gellner und Wolf-Rüdiger Braun, und zwei Verwaltungsleute, so haben wir angefangen. Gellner machte Bildende Kunst, Photographie, Literatur, Film, Video – und kölnisches Brauchtum.  Und Braun machte Musik, Theater und Tanz, im Grunde auch zwei Stellen. Denn in den 1980ern musste man den Aufgabenbereich konsolidieren und aus vier Referaten wurden zwei gemacht. Danach wurde stetig vergrößert.

Die freie Szene war damals kleiner als heute, oder? Also gab es auch weniger Anträge?

Zum einen das, zum anderen gab es sehr viel weniger Geld. Und nachdem erkannt worden ist, dass für die Freie Szene mehr getan werden muss, wurden die Fördermittel irgendwann – ich weiß nicht mehr, wann genau – verdoppelt. Allerdings bei gleichem Personalbestand. Was natürlich nicht so optimal war, denn mehr Geld ausgeben, macht halt auch mehr Arbeit!

Wenn man das über die Jahre vergleicht: Der Anteil des Kulturetats in Köln war deutlich geringer als in anderen vergleichbaren Städten, prozentual gesehen. In den 1990er Jahren haben sich alle Dezernent:innen auf die Fahnen geschrieben, den Anteil nach oben zu bringen. Das ist auch regelmäßig passiert. Die früheren Kulturdezernentinnen Kathinka Dittrich, Marie Hüllenkremer, Georg Quander und auch jetzt Susanne Laugwitz-Aulbach haben es immer geschafft, dass etwas draufgesattelt worden ist.

Und das hat sich dann im Literaturreferat auch bemerkbar gemacht. Wobei du ja nicht nur für Literatur zuständig bist?

Ich bin für Bildende Kunst, Medienkunst und Literatur zuständig. Außerdem für den Heinrich-Böll-Preis und die Förderstipendien. Die Literatur ist der geringere Anteil von allem, von der Masse der Anträge, aber auch von der finanziellen Ausstattung her.

„Die Literatur ist in den letzten Jahren gewachsen“

Laut Kulturbericht sind es nur vier Prozent am Gesamtetat für die Freie Szene.

Ja, von allem, also von den rund vier Millionen, die für die Freie Szene zur Verfügung stehen. Der größte Bereich ist Theater und Tanz. Aber auch die Literatur ist in den letzten Jahren gewachsen. Es gab keine sehr großen Zuwächse, aber es gab welche und diese relativ regelmäßig, zuletzt für den Schreibraum und für die Literaturnacht.

Davon hat auch der Verein Literaturszene Köln profitiert. Würdest du sagen, dass die Mittel sich mit der Zahl der Antragstellungen erhöhen? Ist das miteinander verknüpft? Oder gibt es zuerst mehr Geld und dann eben auch mehr Anträge, die bewilligt werden?

Beides. Die Leute stellen Anträge, aber du kannst, wenn du kein Geld hast, eben vieles nicht unterstützen. Darauf reagiert man dann und setzt auch Geld zu. Dafür gibt es seit ein paar Jahren die Szeneberichte, mit denen die jeweiligen Szenen ein Bewusstsein für ihre Situation schaffen können, vor allem bei den Kulturpolitikern.

Die Freie Szene ist ja der Humus, auf dem auch die Institute der „Hochkultur“ ihre Nahrung ziehen. Dass man diesen Humus dann berücksichtigen muss, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Das ist ein gegenseitiger Prozess.

„Die Formate haben sich verändert“

Würdest du sagen, dass auch ein Bewusstwerdungsprozess stattgefunden hat, dass es ohne die Freie Szene nicht geht, dass die ganz bewusst gefördert werden muss?

Wie diese Entscheidungsprozesse genau abgelaufen sind, weiß ich im Einzelnen natürlich nicht. Aber es ist auch in der Literaturszene viel passiert, es gab einen Generationenwechsel, es kommen immer wieder neue Leute dazu mit neuen spannenden Ideen. Darauf reagiert man und das stoßen wir auch mit an. Es geht ja in der Kultur nicht nur darum, den Status Quo zu halten. Die Gründung des Literaturhauses ist auch so entstanden, aus so einem Rückenwind heraus.

Wie viele Anträge werden denn angenommen?

Gerd: 15-20 Prozent werden abgelehnt. Aus finanziellen Gründen, aber natürlich ist auch die Qualität der eingereichten Projekte nicht gleich hoch.

In der Literatur hatten wir aber schon immer auch ein unterjähriges Budget für kurzfristige Lesungen. Damit konnten wir auch mit kleinem Geld auf aktuelle Lesungsangebote reagieren.

Wie viele Moden hast du im Laufe deiner Tätigkeit erlebt? Wird immer wieder eine neue Kuh durchs Dorf getrieben?

Was die Formate angeht, schon, denn Publikum und die Protagonist:innen haben sich verändert. Zum Beispiel der Bücherherbst Ende der 1980er, das war ein völlig neues Format. Oder Land in Sicht mit ihrer Hörspielwiese und jetzt natürlich die Literaturnacht Köln.

Wenn du auf die 30 Jahre zurückblickst, die du für die Literatur unterwegs warst, was war herausragend?

Ich mochte den Bücherherbst sehr, das war etwas Neues und Lockeres im Spiegelzelt auf dem Neumarkt. Sehr besonders waren immer die Verleihungen des Böll-Preises und der Brinkmann-Förderstipendien. Teilweise waren echte Sternstunden dabei. Bei den Brinkmann-Verleihungen die Leute auf der Bühne zu erleben, zu hören, was sie schreiben und wie sie es schreiben, da war immer wieder Neues zu entdecken. Die Anträge liest du dir hier im Büro durch, aber es ist etwas völlig anderes, wenn du es dann live erlebst. Es gibt immer noch den Unterschied zwischen dem, was du in den Antrag schreibst und dem, was du tatsächlich draus machst.

Es ist auch immer wieder augenfällig, wie die Autor:innen, die das Brinkmann-Stipendium erhalten, sich auf dich beziehen. „Da muss ich mal den Gerd fragen…!“ Die haben mit dir hier gesessen und alles haargenau besprochen, da ist eine Nähe entstanden. Verfolgst du deren Karrieren auch weiter?

Ja, oftmals kriege ich es ja mit, wenn etwas in der Zeitung über sie steht, wenn sie noch einen Preis bekommen haben zum Beispiel. Das freut mich dann. Nur zum Googeln fehlt mir die Zeit.

„Ich versuche den Leuten ein gutes Gefühl zu geben“

Für viele bist du der erste Kontakt in der Kulturverwaltung – und auch mit der Förderbürokratie. Da spielt bestimmt auch eine gewisse Angst mit.

Ich versuche, den Leuten ein gutes Gefühl zu geben. Gut, die Antragsbürokratie muss sein, es geht ja um Geld, das uns allen gehört. Es ist wichtig, dass das sinnvoll eingesetzt wird, aber man muss die Bürokratie nicht zum Selbstzweck machen. Da glaube ich, dass ich schon die Antragssteller:innen im Blick habe; was die machen, ist gut, da muss man nicht so pingelig sein.

Das sieht man ja gleich, wenn man hereinkommt, dass du nicht so pingelig bist.

Bei vielen gibt es eine Hemmschwelle. Keiner geht gerne zum Finanzamt. Aber wir sind deutlich angenehmer.

Wie viel ist denn Beratungsleistung von dir?

Das kann man in Prozent nicht so sagen. Viele von denen, die kommen, sind mittlerweile auch keine Erstantragssteller mehr. Das Verfahren ist jedes Mal ähnlich – und wenn sie dann auch noch lernfähig sind, ist das alles nicht so schlimm. Bei manchen hat man aber das Gefühl, die wollen das nicht lernen. Die schreiben hin, das und das wünsche ich mir, obwohl man von vornherein weiß: Hallo? Das wird nie funktionieren! Das ist dann für alle mit Arbeit verbunden.

Das heißt, Realismus bei der Antragstellung ist eine gute Sache!

Auf jeden Fall. Es ist halt so, wir haben ein bestimmtes Budget. Und wir finden die meisten Ideen, die eingereicht werden, wirklich gut.

Denkst du aus deiner Erfahrung heraus, dass es in der Kulturförderung Regeln gibt, die man überdenken sollte?

Es gibt sicher ein paar Stellschrauben, an denen man drehen könnte, aber die sind natürlich intern.

„Da ist kein Graben zwischen Kulturamt und Freier Szene“

Würdest du den Akteur:innen der Literaturszene raten, dass sie sich bei euch beraten lassen oder bist du auch ganz froh, wenn nicht jede:r die Bude stürmt?

Lieber mehr Beratung und gute Anträge als keine Beratung und schlechte Anträge!

Als Veranstalter:in oder Künstler:in hast du natürlich eine andere Sicht der Dinge. Vielleicht sollten wir öfter mal Gespräche organisieren, bei denen Kunst und Verwaltung miteinander ins Gespräch kommen!

Das Interesse ist auf jeden Fall da. Unsere Veranstaltungen im Herbst 2019 zur digitalen Antragsstellungen waren sehr gut besucht.

Es gibt ein großes Bedürfnis in der Szene, diesen Dialog zu führen.

Wir sind ja keine Gegner, wir wollen mit unserem Geld etwas Sinnvolles machen. Es wird oft ein Graben gesehen zwischen Freier Szene und Kulturamt, aber da ist keiner.

Insofern wäre es gut, solche Begegnungsformate regelmäßig zu installieren. Vermutlich ist auf beiden Seiten nicht genug Transparenz oder auch nicht genug Wissen da. Was man nicht weiß, danach fragt man nicht.

Was ich gut fände, wenn man einen Newsletter herausgäbe, in welchen Abständen auch immer, in dem man bestimmte Infos breit streuen könnte. Und umgekehrt wäre das auch mal eine Anregung!

Wir wollen auf unserer Homepage so etwas ähnliches machen, ein Format müsste man noch finden, dass wir Hand in Hand mit dem, was ihr wisst, mit den Möglichkeiten, die wir haben, Kulturamtswissen weitergeben. Man könnte auch eine Kolumne machen, alle drei Monate oder so.

Böll-Preisträger holte seine Urkunde beim OB ab

Wir wollten dich noch nach den Pannen fragen.

Eine größere Panne gab es eigentlich nicht.

Keine verschwundenen Böll-Preis-Träger:innen? Oder welche, die ablehnten?

Nö. Das Einzige, was es im Zusammenhang mit dem Böll-Preis gab: Einer der Preisträger hat sich beim OB seine Urkunde abgeholt, der wollte keine Preisverleihung.

Wie Thomas Bernhard, der geschrieben hat, der beste Preis sei der Bremer Literaturpreis, da müsse man nur die Kontonummer angeben.

Es war nicht Thomas Bernhard. Sondern Rainald Goetz, der keine Veranstaltung wollte.

Die beste Idee, die nie verwirklicht wurde (aber vielleicht bald doch…)

Was war die beste Idee, die nie verwirklicht wurde?

Ich hätte immer gerne eine Homepage gehabt, für die Böll-Preis-Träger:innen und für die Förderpreisträger:innen. Die ist leider nie umgesetzt worden. Du kannst natürlich auf unserer Seite die Informationen finden. Aber eine eigene Seite, mit Fotos von den Veranstaltungen, mit Laudatio und so, würde ich schon für sinnvoll halten. Wenn man solche tollen Preise hat, sollte man sie auch entsprechend präsentieren.

Das haben wir von Autor:innen schon gehört, die Preise bekommen und dann gesagt haben: Ja, das war super, nur hat  die Presse  kaum Kenntnis genommen. Was natürlich auch mit der Nachbearbeitung zu tun hat.  Gerade bei den Brinkmann-Preisträger:innen: Das ist für so viele der Eintritt in die Literaturwelt! Und die Verlagsszene guckt hin. Da könnte man von städtischer Seite durchaus sagen: He, was ist aus diesen Superleuten eigentlich geworden? Die waren übrigens als erstes bei uns! Mit diesem Pfund könnte man ruhig von städtischer Seite wuchern.

Ja, ich habe sogar die Domäne schon reserviert, die gibt es also bereits: www.boellpreis.koeln. Nur ist da außer der Verlinkung auf die städtische Seite noch nichts drin.

Dann hättest du die Pflege der Seite bei dir selbst beantragen müssen.

Aber wenn du siehst, wie dünn unsere Personaldecke ist! Da sind solche Dinge illusorisch. So eine Seite muss immer gefüttert werden.

Wir könnten ja den Antrag stellen und uns darum kümmern!

Oder wir machen es zusammen!

Wir würden das sehr gerne machen. Wie schön wäre es, wenn man diese Sichtbarkeit herstellen könnte.

„Überwiegend hatte ich mit netten Menschen zu tun“

Gibt es etwas in all der Zeit, bei dem du gesagt hast, jetzt schmeiß ich alles hin.

Mir hat es eigentlich immer Spaß gemacht. Du erlebst in diesem Job den Mikrokosmos der Gesellschaft. Du hast mit supernetten, verständnisvollen Leuten genauso zu tun wie mit arroganten „Deppen“, von denen du sagst, gut, dass ich dich nur einmal im Leben sehe. Also, die ganze Bandbreite. Überwiegend hatte ich mit den netten und offenen Menschen zu tun.

Würdest du sagen, dass sich dein Blick auf Künstler:innen verändert hat? Hat dich, als du dich beworben hast vor 33 Jahren, die Arbeit mit Künstler:innen gereizt?

Man lernt wirklich sehr viele interessante Leute kennen, die mich bereichert haben, auch durch die Themen, mit denen sie sich auseinandersetzen. Kreative Leute sind einfach interessant. Die meisten. Selbst wenn sie „doof“ sind, können sie interessant sein, das hast du in anderen Bereichen nicht so. Deshalb bin ich auch geblieben. Es heißt sonst immer, dass man innerhalb der Verwaltung nach fünf Jahren wechseln sollte. Aber dafür gab es bei mir keinen Grund. Ich bin auch keiner, der unbedingt Karriere machen will, sondern es muss mir Spaß machen. Da ich neben der reinen Finanzabwicklung auch den Böll-Preis und die Förderstipendien organisiere, ist der Input ständig da. Das wird mir wirklich fehlen, wenn ich demnächst in Ruhestand gehe.

Gab es eigentlich auch schlimme Erlebnisse?

Es gab mal eine Salman-Rushdie-Veranstaltung in Köln, an der das Kulturamt aber nur am Rande beteiligt war, und das fand ich schon schrecklich zu sehen, wie gefährdet so jemand plötzlich ist. Wie gefährdet die Freiheit des Wortes, die Wahrheit und diese Offenheit letztendlich ist. Was für einen Aufwand man betreiben musste, damit die Veranstaltung stattfinden konnte! Das alles zu erleben, fand ich wirklich gespenstisch.

Eine wichtige Frage haben wir vergessen. Was ist deine Lieblingslektüre?

Ich lese unheimlich gerne Stig Larsson. Gut, das ist jetzt nicht Kafka, aber ich mag ihn wirklich. Ich finde auch Nele Neuhaus toll. Ich lese einfach gerne Krimis. Und Tolkien habe ich sehr gerne gelesen, vor allem wegen der Mystik und dem Phantastischen. Und nach der Böll-Preisverleihung an Juli Zeh habe ich drei Bücher von ihr auf dem Tisch, die ich sukzessive durcharbeite.

Geht dir das öfter so mit den Preisträger:innen, dass du dich durch den Kontakt mit ihnen für ihre Lektüre interessierst?

Ja, auf jeden Fall, auch wenn du nicht alles so gut lesen kannst wie Juli Zeh. Das ist natürlich auch Geschmackssache. Und ich bin immer auf die Reden bei der Preisverleihung gespannt. Durch die Laudationes erfährt man immer sehr viel über die Autor:innen und kann das Werk besser einordnen. Und ich muss sagen, die Dankesrede von Juli Zeh war für mich eine Sternstunde. Jetzt hab ich drei Bücher von ihr zuhause und bin begeistert.

Das zeigt nochmal ganz gut die Bandbreite deiner Erfahrungen, die du gemacht hast.

Lieber Gerd, wir danken dir für deine Zeit und unser Gespräch! Und vor allem für mehr als dreißig Jahre, in denen du für die Literaturszene Kölns da warst! Wir wünschen Dir alles Gute!