Vom 23. – 25. September 2021 findet INSERT FEMALE ARTIST, das Literaturfestival für feministische Stimmen in Köln zum zweiten Mal statt. Eine Auftaktveranstaltung gibt es aber bereits vorab am 18. September 2021 im Rahmen der Kölner Literaturnacht, hier präsentiert sich das Festival mit der Veranstaltung “All you need is Radikale Zärtlichkeit”. Wir haben mit Svenja Rainer und Sonja Lewandowski, den beiden Initiatorinnen und Künstlerischen Leiterinnen des Festivals vorab gesprochen.
Die Fragen für die Literaturszene Köln stellte Paula Döring.
Literaturszene Köln: Erst einmal möchten wir euch gratulieren, denn Anfang September wurdet ihr mit dem “Sonderpreis für Junge Initiativen des Kölner Kulturrat” geehrt. Ein gelungener Auftakt so kurz vor Start der 2. Ausgabe eures Literaturfestivals INSERT FEMALE ARTIST. Wie fühlt sich die Auszeichnung an?
Sonja: Fühlt sich ganz gut an! Einerseits ist die Auszeichnung natürlich eine wichtige Bestätigung für die doch häufig unsichtbare und unbezahlte Arbeit, die das ganze Team leistet. INSERT FEMALE ARTIST ist eine Initiative, die wir alle neben unseren Brotjobs stemmen. Wir arbeiten an den Wochenenden und in den späten Abendstunden an dem Festival, was uns große Freude bereitet, aber dann doch immer noch oben drauf kommt. Dafür kennen sich unsere Haustiere jetzt alle recht gut. Andererseits erzeugt ein Preis natürlich Aufmerksamkeit, die wir für unsere Idee – verunsichtbarten Autor*innen und neuen Stimmen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen – gerne mitnehmen.
Svenja: Mehr Aufmerksamkeit für unsere Arbeit bedeutet im besten Falle auch mehr Festivalbesucher*innen, die unsere tollen Künstler*innen kennenlernen können. Auf der Urkunde des Kulturpreises steht, dass uns die Jury bestärken möchte, unseren eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Sonja: Wir sind jetzt voll motiviert, unsere stillen Zukunftspläne über das Festival hinaus lauter werden zu lassen und nach den Festivaltagen im September voranzutreiben!
Literaturszene Köln: Gemeinsam macht ihr das erste Literaturfestival für feministische Stimmen in Köln. Wie habt ihr euch kennengelernt und was war euer Auslöser zu sagen, das machen wir jetzt?
Sonja: It’s a love story. Mich haben die vielen Ringe an Svenjas Händen sehr beeindruckt und da habe ich einfach JA gesagt.
Svenja: Wir haben dann eine Kölner Literaturveranstaltung besucht, bei der unterschiedliche Texte von jungen Autor*innen gelesen wurden. Natürlich bekommen bei so einem Event ungefähr alle gleich viel Applaus und Gage, aber genauso wichtig ist das informelle Nachgespräch mit den Kolleg*innen vor der Tür, bei Zigarette oder Drink. Und da ist uns beiden unangenehm aufgefallen, dass so viel über den jungen Österreicher gesprochen wurde, der laut proklamierend seine Gedichte vorgetragen hat, aber nicht über den Text von Lisa Krusche, der das Thema Abtreibung behandelte. Abgesehen davon, dass ich eh keinen Faible für stampfende Männer in Lederschuhen habe, hatten wir den Eindruck, dass es einen Ort für Texte und Stimmen braucht, die nicht brüllen, und für Themen, die deswegen als privat gelten. Ich schlug ein Festival für sanfte Texte vor, Sonja dachte sich den Titel aus und dann haben wir Jascha Sommer angerufen.
Literaturszene Köln: 2019 lag der inhaltliche Schwerpunkt auf historischen und gegenwärtigen Kanon- und Archivierungspraxen, wo habt ihr den inhaltlichen Schwerpunkt in 2021 gesetzt?
Svenja: 2021 wollen wir uns mit Lebensverläufen und biografischem Schreiben beschäftigen. Im Literaturbetrieb sehen wir einen Aufschwung an Ich-Erzählungen, die Autofiktion hat Konjunktur und ist sehr gefragt, aber wir wollen auch nach den Fallen fragen: Was bedeutet es, mit dem eigenen Leben für den Text zu bürgen? Was passiert, wenn die Lebensgeschichte aufgeschrieben und verlegt ist? Und: Welche Themen und Verläufe passen eigentlich in die zumeist geradlinig gedachte, zielgerichtete Form der Biografie? Was wird eigentlich nicht erzählt?
Literaturszene Köln: Ihr bezeichnet euch als Literaturfestival, euer Programm ist durchaus interdisziplinär und fasst beispielsweise auch Tanz, Film und Klang ein. Wie geht ihr bei der Programmarbeit vor?
Sonja: In Köln bietet es sich natürlich an, Literatur ins Spannungsfeld mit anderen Künsten und Medien zu setzen. Literatur hat viel Medienkonkurrenz; wir wollen daraus neue Synergien schaffen und literarisches Erleben nicht nur auf die Wasserglaslesung beschränken, sondern neue Medien der Literatur ausprobieren. Wichtig sind uns auch kooperative Arbeitsformen, weil wir unsere eigenen blinden Flecken mithilfe benachbarter Institutionen und Akteur*innen ausleuchten möchten. Darum arbeiten wir in diesem Jahr u.a. mit den Literaturhäusern Köln und Bonn, dem Internationalen Frauen* Film Fest Dortmund+Köln, dem Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, diversen Literaturzeitschriften und der Akademie der Künste der Welt zusammen.
Svenja: Natürlich besuchen wir viele Lesungen, während der Pandemie haben viele Häuser auch tolle Mediatheken aufgebaut, wie das Literarische Colloquium Berlin oder das Literaturforum im Brecht-Haus. Wir hören Podcasts, folgen Künstler*innen auf Twitter und Instagram und fragen manchmal ganz direkt nach, woran die- oder derjenige eigentlich gerade arbeitet. Über Judith Kuckarts geplante Tanzarbeit haben wir im FAZ-Bücherpodcast in einem Nebensatz erfahren. Ich selbst bin eigentlich Musikwissenschaftlerin und kenne mich noch ein bisschen in der zeitgenössischen Musikszene aus, das hilft auch.
Literaturszene Köln: Gibt es Programmpunkte, die ihr besonders hervorheben wollt oder ein persönliches Highlight darstellen?
Sonja: Ich bin schon sehr auf das Gespräch zwischen Selim Özdoğan, Sandra Gugić und Simone Hirth gespannt, die sich am Sonntagmorgen über die (Un-)Vereinbarkeit von Schreib- und Sorgearbeit unterhalten werden. Außerdem freue ich mich auf die lyrische Festivaldokumentation von Tanasgol Sabbagh und Ralph Tharayil. Sie begleiten das ganze Festival und halten uns dann Sonntagnachmittag einen poetischen Spiegel vor.
Svenja: Ich freue mich sehr auf unser Weltcafé am Festivalsamstag, bei dem Expert*innen unterschiedlicher Disziplinen mit dem Publikum in Arbeitsgespräche über Selbsterzählungen kommen werden. In der letzten Festivalausgabe hatten wir in diesem Format viele bereichernde Gespräche mit ganz unterschiedliche Teilnehmer*innen, mit und ohne akademischem Hintergrund. Ich würde mich freuen, wenn uns das wieder gelingt. Darüber hinaus sind die Insellesungen mein persönliches Highlight, zu denen wir drei Autor*innen mit fantastischen Texten eingeladen haben und ich bin gespannt darauf, wie unsere Festivalgemeinschaft darauf reagieren wird.
Literaturszene Köln: Findet INSERT FEMALE ARTISTS rein analog statt oder werdet ihr auch hybrid Veranstaltungen anbieten?
Svenja: Wir hätten gerne alles digital zugänglich gemacht, aber um die großen Abendveranstaltungen im Saal angemessen zu filmen, bräuchten wir noch einmal eine ganz andere Ausstattung. Wir streamen unser diskursives Programm aus dem Kino, wo gelesen und diskutiert wird. Aktuell liest unser Lesekreis auf twitter zusammen mit Magda Birkmann »How Should A Person Be?« von Sheila Heti, auf dem Festival kommen alle unter der Moderation von Mascha Jacobs und Heike Geißler zusammen – ebenfalls rein digital. Und neben unserer analogen Party wird es ein moderiertes Kennenlernen von Festivalgästen und Publikum mit Maryam Aras geben.
Sonja: Viele schimpfen ja über die pandemisch bedingten Online-Events, aber die haben auch Vorteile. Online-Übertragungen schaffen ganz neue Zugänglichkeiten für ein breiteres Publikum und so können auch Menschen, die z.B. Sorgearbeit leisten und nicht anreisen können, das Festival mitverfolgen. Außerdem verflüchtigen sich die Veranstaltungen durch die Archivierung nicht gleich wieder. Was ich auch sehr mag, ist das digitale Flüstern, das durch die Chats neben dem Streaming möglich ist – hier wird eine ganz neue Form von Publikumsgespräch möglich.
Literaturszene Köln: Welchen Bezug habt ihr zu Köln und wie nehmt ihr persönlich die Kölner Literaturszene wahr?
Sonja: Bis zu meiner beginnenden Forschung zu Literarischen Schreibstudiengängen an der Kunsthochschule für Medien in Köln habe ich keine ‘Kölner Literaturszene’ wahrgenommen, nur vereinzelt Veranstaltungen, obwohl ich in Köln aufgewachsen bin. Was ich früh wahrgenommen habe, waren die Literaturpreise der Stadt Köln, die mit ihren Namen nur an Autoren (Böll, Brinkmann, Wellershoff) erinnern. Warum gibt es keinen Irmgard Keun-Preis? Wo ist das kunstseidene Mädchen in Köln? Aber es tut sich auch was, das sehen wir beispielsweise an den Autor*innen des Buchs für die Stadt, da wurden in den letzten vier Jahren nur Autorinnen gewählt, zwei davon Schriftstellerinnen of Colour.
Svenja: Ich habe lange Zeit eine Fernbeziehung zu der Stadt geführt, weil ich in Wuppertal gewohnt und an der Hochschule für Musik und Tanz studiert habe. Irgendwann habe ich aber das Altbauleben zugunsten von 13m2 mit Hochbett aufgegeben. In der Kölner Literatur- und Kulturszene habe ich viele inspirierende Frauen und Projekte kennengelernt: Ute Wegmann, Bettina Fischer, Christa Morgenrath, das Team von q[lit]*clgn, die Initiative And She Was Like: BÄM!, das Masala Movement und ihr Festival INDERNET – aber das hat auch ein paar Jahre gedauert. Bis heute kenne ich nur eine handvoll queerer Autor*innen aus Köln, das gleiche gilt für Schwarze Schriftsteller*innen oder Schreibende of Colour. Hier müssen wir weiterarbeiten, um die Gleichberechtigung in Köln noch einmal deutlich intersektionaler anzugehen!
Literaturszene Köln: Gibt es etwas, dass ihr euch zukünftig für die Szene wünschen würdet?
Svenja: Ich wünsche mir eine stärkere Förderung von Netzwerken und gemeinschaftlicher Arbeit, die nachhaltig passiert und ein bisschen vom Eventcharakter wegkommt. Dass Bildungsarbeit einen höheren Stellenwert bekommt. Neulich wurden wir von Veranstalter*innen gefragt, ob wir Nachwuchs- oder Erstautor*innen empfehlen können, die über Fluchterfahrungen schreiben. Nach unserem Kenntnisstand gibt es keine Initiative vor Ort, die diesen Arbeitsschwerpunkt hat. Es ist sicherlich gut gemeint, Bühnen bieten zu wollen, aber zuvor braucht es Zeiten und Räume um zu arbeiten, sich auszutauschen, Budget um Vorbilder einzuladen. Aber Workshops haben halt weniger Glamour als Lesungen.
Sonja: Ich würde mir wünschen, dass wir uns offener über Arbeitsbedingungen und Verdienste unterhalten. Kann man überhaupt von literaturvermittelnder Arbeit leben oder machen wir das für immer in unseren Abendstunden bei einem alkoholfreien Sekt? Außerdem wollen wir nicht für immer an unseren Küchentischen arbeiten, dafür brauchen wir mehr Räume für literatur- und kulturvermittelnde Arbeit.
Wir danken für das Gespräch!
Kurzvitae der Künstlerischen Leitung
Svenja Reiner studierte Anglistik/Amerikanistik, Wirtschaftswissenschaften, Internationales Kunstmanagement sowie Musikwissenschaften. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturpolitik in Bonn. Laufende Promotion über Fans in der Neuen Musik, Lehre an der Universität Köln, Universität Münster, HfMT Köln, Medienakademie Dortmund sowie Hochschule Osnabrück. Bekam den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik 2016 und schreibt dramatisch, lustig, wissenschaftlich, eine Podcastkolumne für 54books und in Bücher – zuletzt für die Anthologie FLEXEN. Flâneusen* schreiben Städte (Verbrecher Verlag).
Sonja Lewandowski lebt und arbeitet in Köln. Studium der Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft sowie Sozialwissenschaften in Siegen. Kulturjournalistische und literarische Beiträge für den Literarischen Monat, taz, Goethe-Institut, 54books. Schreibt an ihrer literaturwissenschaftlich-ethnografischen Doktorarbeit zu Literaturinstituten. Arbeitete 2017–2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Graduiertenkolleg Gegenwart/Literatur an der Universität Bonn. Lehrt an der Universität Köln.