Literaturszene Köln: Lieber Fatih, heute erscheint bei Kiepenheuer & Witsch dein sehr persönliches Buch KARTONWAND. Magst du kurz erzählen worum es in deinem Buch geht und was dein Anlass war, es zu schreiben?
Fatih Çevikkollu: In dem Buch gehe ich der Frage nach, ob es eine Verbindung gibt zwischen Migration und psychischer Erkrankung. Exemplarisch erzähle ich meine Geschichte, in unserer Familie ist meine Mutter psychisch erkrankt und später alleine in der Türkei verstorben. Das war 2017. Und als ich mich irgendwann getraut habe, darüber zu sprechen, Schuld und Scham ein wenig überwunden hatte, hörte ich, dass viele Menschen, die so eine Biografie haben wie ich und denen ich von den Umständen des Versterbens meiner Mutter berichtete, dass ihre Eltern auch psychische Probleme haben, depressiv sind oder Medikamente nehmen oder sonstwie in einem Ungleichgewicht sind. Und dann dachte ich, wahrscheinlich bin ich gar nicht so allein, wie ich mich fühlte mit meiner Geschichte und wahrscheinlich ist meine Geschichte wirklich nur eine von vielen, die bis jetzt in diesem Land noch nicht erzählt wurden.
Literaturszene Köln: Wie kann und muss deiner Meinung nach das Thema „Trauma der Arbeitsmigrant:innen“ in aktuelle Debatten mit eingebunden werden?
Fatih Çevikkollu: Bevor es eingebunden werden kann muss man sich dessen überhaupt erst bewusst werden. Ich habe den Verdacht, dass die erste Generation der Arbeitsmigrant;innen eine übersehene Generation ist. Das leite ich von dem Umstand ab, dass es heute, wenn wir den Arbeitsmigranten der ersten Stunde psychologischen Beistand leisten wollen, überhaupt nicht die Mittel dazu gibt, Stichwort kultursensible Ansätze in der Psychotherapie. Im Gegenteil kursierte lange Zeit unter Medizinern, wenn Arbeitsmigranten von ihren Beschwerden sprachen, die Formulierung: Morbus bosporus oder morbus mediterran. Sie wurden nicht gesehen, und wenn sie gesehen wurden, wurden sie nicht ernst genommen. Also ist der erste Schritt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, für die Geschichte der Arbeitsmigranten der ersten Generation und natürlich auch für ihre Kinder. Einer von ihnen hat dieses Buch geschrieben.
Literaturszene Köln: Du lebst in Köln, dein Verlag ist in Köln, wie nimmst du die Literaturszene hier in Köln wahr und gibt es etwas, was du dir für die Zukunft wünschen würdest?
Fatih Çevikkollu: Ich lebe nicht nur in Köln. Ich liebe es, in Köln zu leben. Wenn ich in Nippes durch die Straßen gehe, ist das der einzige Ort in der Welt, an dem ich Menschen treffe, die ich aus meiner Kindheit kenne. Wo ich auf der Straße stehen und einen Plausch halten kann oder in einer der vielen Kneipen ein Kölsch trinken.
Ich bin froh, mit Kiwi einen Verlag gefunden zu haben, der nicht nur in Köln ist, sondern darüberhinaus auch noch ganz toll. Die Betreuung und die Zusammenarbeit waren großartig! Die Kölner Literaturszene kannte ich bis jetzt nicht aus nächster Nähe, aber mit diesem Buch – das jetzt nicht direkt Literatur ist, sondern ein Sachbuch – freue ich mich auf die Begegnungen mit den Autoren und Autorinnen aus meiner Heimatstadt.