Literaturszene Köln: Lieber Frank, in einem Interview habe ich gelesen, dass du momentan in drei Städten lebst: Hamburg, Köln- und Mannheim. Wo ist für dich „zu Hause“ und was bedeutet Heimat für dich?

Frank Berzbach: Im letzten Jahr war das so, seit Oktober wohne ich aber „nur“ auf St. Pauli und in Köln. Ich war zu viel unterwegs, ein auch haltloses und abenteuerliches Leben. Bücher spielen, wenn man nicht immer sofort weiß, wo man wach wird, eine noch größere Rolle: man hat sie immer dabei. Zuhause bin ich dort, wo Menschen mich lieben und man „nicht in Frage gestellt wird“, wie es Daniel Schreiber in seinem Essay schreibt. Ich bin in der Nähe von Köln, im Oberbergischen aufgewachsen. Heimisch fühle ich mich in meinem Schreibwohnbüro auf St Pauli und bei meiner Freundin in Köln.

LS: Im September ist dein neuestes Buch „Die Kunst zu lesen. Ein Literaturverführer“ erschienen, schon das zweite Buch während der Pandemie. Dein aktuelles Buch liest sich wie eine Reise, die wir rein durch Literatur erfahren. Wie ist es dir beim Schreiben ergangen in diesen komischen Zeiten, war etwas anders oder ist der Prozess der gleiche geblieben?

FB: Ohne Lesungen fehlt etwas, es bleibt das einsame Handwerk des Schreibens. Es ist frustrierend, ich kann das gar nicht ins Positive wenden. Die Lesungen, die stattfanden, waren atmosphärisch anders und ohne das gesellige Miteinandersein danach ist es kein vollständiger Abend. Ich lerne viel aus den Diskussionen mit dem Publikum, die Onlinelesungen können das nicht auffangen. Auf das Schreiben selbst bezogen sind die Unterschiede gering: ich kann das nur in Stille, ungestört und allein. Inzwischen fragt man sich, wofür und warum man schreibt — weil es nicht zum Vorstellen des Buches kommt. Es ist wie komponieren ohne Auftritt. Es gab, für das aktuelle Buch, keine Premierenfeier. Das bedeutet: man sitzt allein zu Hause, klopft sich auf die Schulter und gratuliert sich selbst. Alles andere ist ein Smartphone. Lesungen geben die Möglichkeit, für sein Buch zu werben, es vorzustellen. Ohne entscheiden allein Medien darüber, wer die Aufmerksamkeit bekommt — und da gelten ganz eigene Trends. Ob jemand telegen ist, hat mit dem Text in einem Buch nichts zu tun.

LS: Du hast das Lesen recht spät während der Schulzeit für dich entdeckt und seitdem begleiten dich Bücher als wichtiger Bestandteil deines Lebens. Wie bist du selbst zum Schreiben gekommen?

FB: Ich habe geschrieben, bevor ich gelesen habe. Schon als Kind kleinere Geschichten. Das ging aber eher aus meiner Begeisterung für Füller und Schreibgeräte, schönes Papier und so weiter hervor. Schreiben war wie das akkurate Zeichnen von Buchstaben. Nachdem „Die unendliche Geschichte“ mich zum Leser gemacht hatte, wurde es etwas anders. Ich habe immer viele Briefe geschrieben, und eigentlich sind meine Bücher immer noch Briefe — an Leserinnen und Leser.

In der Promotionszeit habe ich mir mit dem Wissenschaftsjournalismus ein zweites Standbein aufgebaut, die Karrieren an der Universität sind umkalkulierbar; und aus meiner Lehrtätigkeit an einer Hochschule ging mein erstes Buch hervor: ein Arbeitspsychologiebuch für Kreative. Wissenschaftler publizieren, das ist nichts besonderes, sondern Teil der Aufgabe. Neu war nur, dass ich für eine breitere Zielgruppe schrieb. Der Schritt ins Künstlerische, ins Erzählen und den Essay, der kam auch über die Ermutigung von Freunden. Mein Verleger bei Eichborn, Dominique Pleimling, hat mich sehr motiviert, meine eigenen Geschichten mit der Literatur zu erzählen. Ich brauche für mein Schreiben immer Musen — das können Schallplatten, Bücher, Menschen sein — ihre Schönheit gibt mir Kraft und Ideen.

LS: Im September bist du im Rahmen der 2. Kölner Literaturnacht aufgetreten und zwar zusammen mit deiner Freundin Nina, die Jazz Sängerin ist. Ihr teilt u.a. die Liebe zu Nick Cave und Patti Smith, welche Rolle spielt die Musik für dein Schreiben? Hast du schon mal Song Texte geschrieben? Wäre das etwas was dich reizen würde?

FB: Für Nina sind diese beiden Songs, die sie gespielt hat, eher fremd. Patti Smith ist eher Dichterin und alles andere als eine Sängerin im handwerklichen Sinne — Nina singt komplizierte Stücke von Ella Fitzgerald; es war daher spannend, ihre Interpretation dieser beiden Songs zu hören. Musik von singenden Dichtern und Dichterinnen — Johnny Cash, PJ Harvey, Nick Cave, Patti Smith, Bob Dylan, den Beatles — sind für mich eine permanente Inspiration. Diese Musik, der Stil, die Atmosphäre und ihre Geschichten umgeben mich. Patti Smith hat Bücher gemacht, die mich beschäftigen und begeistern. Ich schreiben inzwischen, allerdings bisher etwas verborgen, Gedichte. Der Weg zu Songtexten ist nicht weit, ich habe darüber noch nicht weiter nachgedacht. Ich habe einen Zyklus an Erzählungen geschrieben unter dem Titel „Wie es ist neben dir wach zu werden“ — dazu meinten einige, das seien eher Songtexte als Kurzgeschichten. Ich müsste einmal eine Reihe Texte unter dem Titel „Songs“ veröffentlichen, fiktive Musiker dazu erfinden und schauen, was geschieht.

LS: Du unterrichtest Literaturpädagogik und Philosophie an der TK in Köln, dein aktuelles Buch ist im Kölner Eichborn Verlag erschienen: Wie nimmst du die Kölner Literaturszene wahr und was würdest du dir für die Zukunft wünschen?

FB: Ich war die letzten Jahre etwas stärker bezogen auf St. Pauli, dort ist es, so mein Eindruck, etwas einfacher Zugang zu bekommen. In keiner Stadt hatte ich so wenig Einladungen zu Lesungen wie in der, in der ich lebe — Köln. Warum, das kann ich nicht sagen. Ich habe erst durch Melanie Raabe und unseren kleinen Autor:innenstammtisch zum Beispiel Annette Wieners, Mathias Berg oder Anne Siegel kennen lernen dürfen. Aber ich habe hier bisher keinen Zugang zu „einer Szene“ und bin einfach dankbar, wenn ich eingeladen werde. Für mich spielen in meiner Lesebiographie zwei Kölner eine große Rolle: Irmgard Keun und Heinrich Böll. Ich stelle mir vor, dass viele Kenner:innen und Fans in der Stadt herumlaufen — aber ich kenne sie leider nicht. Einige Autoren sagen, dass man in der eigenen Stadt gern übergangen wird. Aber auch acht Bücher reichen nicht aus, also bin ich viel auf reisen. Eine seltsame Logik, oder?

Danke, lieber Frank, für das schöne Gespräch.