Literaturszene Köln: Herzlichen Glückwunsch, liebe Andrea! Im Rahmen der Buchmesse Leipzig wurdest du mit dem Preis der Jungen Literaturhäuser 2023 ausgezeichnet. Wie geht es dir?

Andrea Karimé: Erschöpft und müde und schön wölkig. Möchte ruhen „Müdesüß“ würde Else Lasker Schüler vielleicht sagen. Nach 11 Lesungen in Salzburg konnte ich dies aber bisher nicht, weil es gefühlt nonstop nach Leipzig weiterging; und auch jetzt sitze ich wieder im Zug und plane die die nächsten Tage, die noch unruhig und gefüllt sind. Aber unter der Müdigkeit und den schweren Lidern wohnen Freude und Stolz. Die auch was sagen möchten.

Bundesweit haben die Jungen Literaturhäuser aus dem Netzwerk der Literaturhäuser drei Autor:innen nominiert, neben dir waren es Tamara Bach und Tobias Elsäßer. Ihr drei konntet jeweils drei Mal quer durch Deutschland in den unterschiedlichen Literaturhäusern lesen und euch mit einem Video präsentieren.

Literaturszene Köln: Fühlt sich der Preis anders an weil er nicht von einer Jury, sondern direkt vom Publikum und allen Zuhörer:innen, die live bei euren Lesungen waren oder euch online gesehen haben, vergeben wurde?

Andrea Karimé: Ja und nein. Du wirst ja quasi zweimal ausgezeichnet. Nominiert zu werden von einer kundigen Jury, mit zwei so irre guten Kinderbuchautor*innen wie Tobias und Tamara, rausgepickt zu werden, aus einer großen Menge an Kinderbuchautor*innen ist die erste Auszeichnung. Und das fühlt sich so besonders an, wie beim Kinderbuchpreis NRW. Das Video wurde finanziert. Wir haben tolle Lesungen gemacht und wurden nach Leipzig eingeladen, das allein waren schon wunderbare Facetten. Das was aber anders ist, ganz sicher, zu merken wie sichtbar und geschätzt ich in meiner Insta-Bubble bin. Also die zweite Auszeichnung wenn du so willst. So viele tolle Influencer*innen  und Podcasterinnen wie Georgina Fakunmoju, Sarah Vercera, Tebalou, Hadija Haruna Oelker und Wibke Ladwig, aber auch viele viele Einzelpersonen, geschätzte Kolleg*innnen Blogger*innen haben mich empfohlen und tolle Feedbacks veröffentlicht, sogar eigene Postings wurden gemacht. Mariela Georg hat extra dafür eine Zeichnung von mir angefertigt. Das war eine Welle der Wertschätzung insbesondere aber nicht nur von der BIPOC-Community, die ich so nicht erwartet hatte, und die noch immer in mir wirkt. Ich hab mir alle Beiträge als Highlight abgespeichert für Tage des Zweifelns, die natürlich auch immer auftauchen.

Literaturszene Köln: Dein liebevoll inszeniertes Video über das man einiges über dich als Kinder- und Jugendbuchautorin kann man sich hier zum Glück noch immer anschauen und man lernt viel darüber, wie deine Texte entstehen. Vor dem hauptberuflichen Schreiben warst du hauptberuflich als Grundschullehrerin tätig. Wie hat es für dich mit dem Schreiben angefangen?

Andrea Karimé: Ach, ich hab schon immer geschrieben, auch als Kind schon, als Jugendliche dann Tagebuch, Geschichten, im Studium der Kunsterziehung hab ich als Abschlussarbeit ein Buch mit ersten poetischen Textfragmenten und Fotografien als Leporello gebunden : „Das entrückte Selbstbild“ und gemerkt welche Kraft die poetische Sprache als künstlerisches Material hat. Das Schreiben hat mich von da an nicht mehr verlassen. Aber es als Beruf auszuüben kam mir nicht in den Sinn. Ich komme auch nicht aus einer Familie, in der mir so etwas vorgelebt wurde. Als Grundschullehrerin hab ich irgendwann eine Kindergeschichte begonnen, quasi als Fortsetzungsgeschichte für Lesehausaufgaben. Die fanden die Kids und Eltern so gut, dass ich warum auch immer, eines Tages beschloss, sie zu veröffentlichen. Leicht war es nicht, denn in Deutschland hat man das Buch heftigst abgewunken. Kindern erschlösse sich die Briefform nicht. In Österreich war man gleich offener. So erblickte mein erstes Kinderbuch „Nuri und der Geschichtenteppich“ die Welt von Wien aus.

Literaturszene Köln: Du bist sehr aktiv auf deinen Social Media Kanälen und es macht total Spaß dir dort zu folgen. Bekommst du von den Kids bei deinen Lesungen und online Rückmeldung? Hat sich deine Wahrnehmung und Einstellung zu Social Media und dem Internet verändert, seitdem du selbst dort so aktiv bist?

Andrea Karimé: Na auf social media hab ich nur selten von Kids Rückmeldungen, ab und zu, was natürlich super ist. Meine Aktivität hat 2020 im Lockdown begonnen, als mein Buch bei Peter Hammer verschoben und eine Veranstaltung nach der nächsten abgesagt wurde. Dem Gefühl als Autorin in die Unsichtbarkeit zu verschwinden wollte ich etwas entgegensetzen. So hab ich angefangen mit auf Instagram intensiver auszuprobieren mit Videos und eine Blog hab ich ebenso begonnen (buchstabenrascheln.com). Ich hab eine Online-Class zu diesen Themen gebucht um meine Starre zu  lösen, online Geschichten erzählt, Challenges mitgemacht usw.

Hinzu kam, dass ich im Zuge der Rassismus-Debatten in Deutschland nach dem Terroranschlag in Hanau und den Morden an George Floyd und Breonna Taylor eine Art Coming-out als Person of Color hatte. (Das hab ich mal Olivia Wenzel in einem Interview sagen hören, und dachte sofort, wie bei mir!) Ich hörte die vielen Stimmen und Geschichten und erinnerte mich, und verstand plötzlich meine eigenen Erfahrungen und fasste sie in Worte. Ich wurde mir bewusst, dass ich in einer komplett weißen (Arbeits-) Bubble lebe und wollte andere Menschen kennenlernen, die meine Erfahrungen teilen. Inzwischen ist so ein wahnsinnig reiches Netzwerk entstanden. Inzwischen habe ich so viele tolle Kolleg*innen of Color und Schwarze Kolleg*innen kennengelernt, Freund*innenschaften geschlossen, Projekte umgesetzt wie die Alle-Kinder-Bibel und eine Anthologie. Wir gründen auch einen Verein der Buchsschaffenden of Color. Und es ist insbesondere diese BIPOC- Community auf Instagram, die mit großer Begeisterung gerade gegen Ende des Votings noch einmal überall für mich und die Abstimmung geworben hat. Früher hätte ich nicht gedacht, dass Social Media mich sowohl persönlich, als auch beruflich so viel weiter bringen könnte. Nils Mohl hat mich übrigens zum Montagsgedicht auf Insta inspiriert, auch das tippt mich immer in den kreativen Flow zurück.

Literaturszene Köln: In Kassel groß geworden, lebst du mittlerweile in Köln. Wie nimmst du die Stadt und insbesondere die Literaturszene wahr. Hat sich die letzten Jahre etwas verändert, zum Positiven oder auch Negativen?

Andrea Karimé: Ich lebe ja bereits 28 Jahre in Köln. Ich mochte die Stadt von Anfang an, ich bemerkte, dass ich nicht mehr auffiel. In Kassel war ich noch überall die Exotin, aber in Köln war das so erleichternd. Überall gab es Leute die so aussahen wie ich. Und Musik, ich liebte die Philharmonie und besuchte viele Lesungen; toll fand ich die Festivals des Literaturhauses, zB das mit arabischer Literatur. Das war der Wahnsinn, Leute zu treffen wie Iman Humaidan Junis. Als richtige Akteurin der Literaturszene begriff ich mich aber erst später. Ich war ja anfangs nur in Österreich sichtbar. Vor 10 Jahren hat mich Ute Wegmann ausfindig gemacht für ihren großartigen „Heimspiel-Tag“; damals war ich den Kinderbuchkolleg*innen dort eine Unbekannte, trotz Österreichischem Kinder- und Jugendbuchpreis, den ich gerade gewonnen hatte. So begann meine Vernetzung in der Kinder-Literaturszene Köln. Mein Gefühl ist, dass die Literaturszene in Köln in den letzten Jahren noch reicher geworden ist. Und damit meine ich jetzt nicht die riesige Lit.Cologne sondern vor allem besondere Initiativen, Festivals wie das ELK oder Satelliten , die Lesungen der Studierenden der KHM, das interkulturelle Autor*innencafé. Auch das Literaturhaus erlebe ich viel offener und mittlerweile als Treffpunkt vieler Literaturschaffenden aus den verschiedensten Bubbles. Kleine Verlagsperlen wie Stolze Augen Books oder Parasitenpresse sind auch besonders. genau wie die Literaturnacht oder der Kinder- und Jugendbuchtag.  Es gibt einen Schreibraum. Gut wars besser ists geworden.

Literaturszene Köln: Dir ist Sprachenvielfalt ein großen Anliegen und ein zentraler Aspekt deines Schreibens. Wie viele Sprachen sprichst du selbst und wie fließen die unterschiedlichen Sprachen in dein Schreiben ein? Gibt es eine Herzens- und eine Schreibsprache?

Ich bin ja leider nur einsprachig, ich weiß auch nicht, woher das kommt dass ich mehrsprachig erzählt werde. Ich habe einige Sprachen gesammelt, die Schulsprachen Englisch und Französisch. Ich hab Russisch noch als dritte Fremdsprache gewählt, im Studium Grundkurs in Italienisch gewählt, Türkisch während des Galatastipendiums A1  und Arabisch während eines 4-monatigen Aufenthalts in Kairo A2 erworben. Und ich hab so einen Reflex, immer neue Wörter aus andere Sprachen zu sammeln, vor allem mit Kindern. So ist meine Dilltasche entstanden (dil ist türkisch sprache/Zunge dîl u.a. auf Hindi ist Herz.) in der ich die Wörter bewahre die mir Kinder schenken.

Ich bin aber natürlich – und das war besonders damals in Deutschland- mit vielen Wörtern aus vielen Sprachen großgeworden durch meinen Vater der in den Sechzigern als Student nach Deutschland kam und viele Sprachen im Gepäck hatte. Davon hab ich zwar nichts verstanden – unsere Familiensprache war Deutsch, aber mein Interesse an der Magie der Wörter war geweckt. Ich hab mir buchstäblich meinen eigenen Reim auf die Wörter meines Vaters gemacht, und das hat bereits in frühen Jahren meine Fantasie angeregt. Als ich schreiben konnte habe ich mir immer Listen gemacht: Wörter, die mein Vater in 4 weitere Sprachen übersetzen musste. Ich glaube diese Liebe zu den Wörtern und Sprachen ist zu Poesie geworden. Und die fließt in meine Bücher ein. Ich möchte auch einfach Kinder erzählen, die nicht nur deutsch-deutsch aufwachsen; und da lande ich natürlich auch bei der Erzählung von Mehrsprachigkeit als Merkmal kultureller Diversity in Deutschland. Das heißt nicht, dass ich zweisprachige Bücher verfasse, das kann ich ja auch nicht. Aber erzählen will ich diese Realitäten, in der so viele Kinder aufwachsen, Kindheit in Deutschland also aus dieser Perspektive.

Schreibsprache ist aber natürlich immer Deutsch. Über die besondere „meersprachigkeit“ hab ich zb hier geschrieben: Birdy words from the dill-box – Multilingualism and poetical writing for children – DIVERSITY, REPRESENTATION, INCLUSION, NORM CRITIQUE – Goethe-Institut Finland

Literaturszene Köln: Gerade ist ein neues Kinderbuch von dir erschienen, magst du ein wenig darüber erzählen?

Andrea Karimé: „Minu und der Geheimnismann“ ist die Geschichte eines Mädchen mit viel Fantasie. Sie kann das Gras wachsen hören und vermisst Oma, ihre „Weit-weg-Person“. Eines Tages entdeckt sie einen geheimnisvollen Mann, der einen noch geheimnisvolleren Garten besitzt. Auch er hört das Gras wachsen, auch er hat eine „Weitwegperson“ namens Meineliebe. „Eine zauberhafte Freundschaftsgeschichte .. ein Bilderbuch wie ein Gedicht – federleicht und berührend schön“ schreibt der Verlag, ich kann das nicht besser sagen und es ist soeben von der deutschen Akademie  für Kinder- und Jugendliteratur zum Buch des Monats gekürt worden. Ich mach damit auch grad Lesungen, mit Klängen und Flöte und Fantasiepflanzen und Grasgeräuschen erfinden vor Ort, und das macht sehr viel Spaß. Und ich hör mir dann an, wie die Kinder von ihre „Weitwegpersonen“ auf anderen Kontinenten erzählen. Auch das ist Kindheit in Deutschland.

Literaturszene Köln: Wie geht es jetzt für dich weiter, wie sehen deine Pläne aus?

Andrea Karimé: In den nächsten Tagen erscheint mein Buch mit Essays und Texten „Wörter Wörter Himmelörter – Sprachen erfinden“ Superschön, dass der Konkursbuchverlag Claudia Gehrke alle meine Vorträge Poetikvorlesungen poetologischen Texte in einem Band versammelt. Ihr werdet davon auf Insta hören, denn ich stell das Buch in einem Talk mit zwei meiner liebsten „Held*innen der Rede“, nämlich Mithu Sanyal, der ich meinen Text „vatersprache“ gewidmet hab, und Simone Scharbert dort bald erstmalig vor.

Bis etwa Mitte Juni mach ich auch noch so einige Lesereisen, in die Schweiz geht’s, an den Bodensee, aber auch in NRW steht einiges an. Und dann tauche ich mal wieder ins Schreiben ein, da gibt’s kleinere Sachen und Kindergedichte fertigzumachen, ein Bilderbuchprojekt mit der Illustratorin Jasmina El Bouamraoui, aber die größere Idee will wachsen und Form annehmen. Nur so viel: ich beschäftige mich zu Recherchezwecken mit den Geschichten von Salman Rushdie. Bis zur nächsten Veröffentlichung aber müsst ihr euch mit den Montagsgedichten auf Insta begnügen 😊

Vielen lieben Dank, für deine Zeit, liebe Andrea!

Andrea Karimé: Ich bedanke mich und sage Shukran! Und faleminderit. Dem ersten, die rauskriegt was es heißt und in welcher Sprache schicke ich eine Autogrammkarte.