“Wir waren hochgemute Nichtskönner. Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980 – 1995” heißt das Buch von Gisa Funck und Gregor Schwering, das gerade im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Die beiden Autoren haben Akteurinnen und Akteure aus der Zeit getroffen. Sie haben Geschichten gesammelt, Zeitdokumente studiert und in der eigenen Erinnerung gegraben. Ihr Buch ist das Porträt einer vergangenen Epoche und der letzten vordigitalen Bohème. Wir haben mit Gregor Schwering gesprochen.
Literaturszene: Köln früher oder heute – was war besser und warum?
Gregor Schwering: Früher war nichts besser, nur anders. Ergo wünsche ich mir das Gestern auch nicht zurück, weil es jetzt ein Heute gibt. Dabei habe ich die in unserem Buch porträtierte Stadt in all den dort geschilderten Facetten aus erster Hand erlebt. Das waren super Jahre, keineswegs ‚dunkel‘, sondern von genau der Energie berauscht, die der Klappentext der ‚hochgemuten Nichtskönner‘ beschwört. Dann kam der Exodus und der Freundeskreis halbierte sich. Es wurde ruhiger. Aber das ist nun schon Jahrzehnte her, es ist vorbei und das ist auch gut so. Ein Umzug nach Berlin war allerdings niemals eine Option für mich, da ich meinen Job an der Uni (damals Uni Siegen) hatte. So war mir Berlin ziemlich egal bzw. stellte für mich kein ‚Versprechen‘ dar. Mit dem Heute in Köln bin ich also ziemlich im Reinen – eine Sehnsucht nach dem Früher taucht jedenfalls nur sehr selten auf.
Literaturszene: Wofür stand das kreative Köln zwischen 1980 und 1995?
Gregor Schwering: Aus meiner Sicht lässt sich die Antwort ganz gut anhand der Entwicklung des sog. Sound of Cologne illustrieren. Denn verfolgt man hier die Spuren zurück, ‚beginnt‘ dieser Sound in den Kellern einer ehemals besetzten Schokoladenfabrik, dem Stollwerck. Dort feilen zwei Jungs – Jörg Burger und Wolfgang Voigt – mit ihren Bands an musikalischen Konzepten, die um 1980 noch dem Punk/Post Punk zugerechnet werden können. Durch verschiedene Verpuppungen hindurch, d.h. im Umweg über die englische Popmusik der Zeit, finden sich beide dann im Feld technoider Musik wieder. Dort bilden sie in ihrer Zusammenarbeit, die im Stollwerck ihren Anfang nahm, eine wichtige Keimzelle des heute weltweit geachteten Sound of Cologne aus. Darin lassen sich die Ideen des DIY sowie auch des unabhängigen Produzierens bis in das Netzwerk des international einflussreichen Kompaktlabels hinein verfolgen. Zugleich steht diese Geschichte stellvertretend für weitere Initiativen dieser Zeit, die Köln auf die Landkarte der wichtigen Kulturmetropolen bringen: Sowohl der Aufstieg des SPEX-Magazins als auch der der Künstlergruppe Mülheimer Freiheit verlaufen in vergleichbaren Bahnen: ‚Hochgemute Nichtskönner‘ setzen sich nicht aufgrund ihrer ausgebufften Professionalität, sondern mit Selbstbewusstsein, Innovationsgabe und Leidenschaft durch.
Literaturszene: Welche Rolle hat der Literaturbetrieb gespielt und wo lagen die inhaltlichen Überschneidungen?
Gregor Schwering: Natürlich entsteht in dieser Zeit auch eine lebendige Kölner Literaturszene, zu der man in den 1980er Jahren z.B. Joachim Lottmann zählen kann. Danach aber ändert sich das Bild, es formiert sich eine andere Szene, deren Keimzelle nicht zuletzt die 1980 durch Karl Karst gegründete Autorenwerkstatt an der Uni Köln ist. Hier sitzen Marcel Beyer und Norbert Hummelt, die in dieser Zeit auch als Postmodern Talking in Kneipen auftreten, sowie Ingo Jacobs, Thorsten Krämer, Ute-Christine Krupp, Jochen Langer, Jennifer Poehler, Sabine Schiffner u.a., die an eigenen Texten arbeiten sowie gemeinsam an verschiedenen Orten lesen. Ein weiterer Treffpunkt ist das seit 1989 von Ekkehard Skoruppa und Liane Dirks geleitete Literatur-Atelier, in dem sich Teile der Autorenwerkstatt mit weiteren Schriftsteller*innen (etwa: Roland Koch) vernetzen. Außerhalb dieses Rahmens ist vor allem Thomas Kling bedeutsam, dessen Lyrik und Performances, aber auch charismatische Präsenz einen gar nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Literaturszene nicht allein in Köln haben. Zuletzt kommt mit Dieter M. Gräf noch eine Stimme hinzu, die sich von der Lebendigkeit der Kölner Szene Inspiration verspricht. Orte der Überschneidung mit anderen Szenen sind auch hier die Kneipen, wo alle mit allen zusammenkommen. Für die Literatur ist die Station ein wichtiger Ort: Beyer, Hummelt und Kling sind hier anzutreffen, Guy Helminger steht hinterm Tresen. Aber auch Enno Stahl und die Kunstpiraten trinken dort gerne Bier. Ein weiterer Überschneidungspunkt ist die SPEX, die alle lesen, und für die Marcel Beyer auch regelmäßig schreibt. Überschneidungen zwischen Kunst- und Literaturszene sind aber eher selten bzw. kommen nur gelegentlich vor.
Literaturszene: Ihr beide lebt und arbeitet in Köln: Wie nehmt ihr die Stadt heute war und was würdet ihr euch für die Kölner Kulturszene der Zukunft wünschen?
Gregor Schwering: Der Kölsche hat immer ein zwiespältiges Verhältnis zu seiner Stadt. Einerseits lässt es sich hier gut leben und feiern, andererseits ist es aber auch provinziell und eng. Aus meiner Perspektive beginnt sich die Kölner Kulturszene gerade etwas von ihrem Aderlass zu erholen. Besondere Wünsche oder Hoffnungen knüpfe ich aber nicht daran. Anders gesagt: Ich glaube nicht, dass sich die einmalige Zeit zwischen 1980 und 1995 (und etwas länger), in der Köln tatsächlich und in vielerlei Hinsicht eine weltweit beachtetet Metropole war, wiederholen lässt.
Danke für deine Zeit, lieber Gregor!
Gregor Schwering, geboren 1962, lebt in Köln, besuchte 1980 das dortige Joy Division-Konzert, war Mitte der 1990er-Jahre Leiter der Kölner Autorenwerkstatt und arbeitete als Journalist sowie für diverse Kölner Galerien. Heute ist er als Literatur- und Medienwissenschaftler an der Universität Bochum beschäftigt.
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