Lieber Uwe, dieses Jahr hat dein Literaturblog »Kaffeehaussitzer« den zehnten Geburtstag gefeiert – was hat sich seit dem Start verändert?

Als der Kaffeehaussitzer 2013 online ging, war die Zahl der Buch- und Literaturblogs noch relativ überschaubar, doch genau in dieser Zeit wuchs die Buchblog-Szene rasant. Zwischenzeitlich gab es um die 1.200 Blogs, heute sind zwischen 700 und 900 aktiv. Und es war auch die Zeit, als viele Verlage die Buchblogger als Multiplikatoren für sich entdeckten, es entstanden die »Blogger Relations«-Stellen, die entweder in den Presse- oder den Marketingabteilungen der Verlage angesiedelt waren. Diese Entwicklung ging einher mit einer – leider bis heute anhaltenden – schrumpfenden Präsenz der Literatur im klassischen Feuilleton oder in den Öffentlich-rechtlichen Medien. Durch die Blogs entstanden neue, partizipative Formen, sich über Bücher und Literatur auszutauschen – als Ergänzung der Literaturkritik, nicht als deren Ersatz.

Irgendwann zog die Karawane weiter, Instagram wurde populär, aktuell gefolgt von Bücher-Clips auf TikTok. Die bunte Welt der »klassischen« Literaturblogs mag daher in Zeiten von Bookstagram und BookTok weniger präsent in der Wahrnehmung sein, als noch vor ein paar Jahren. Doch sie ist quicklebendig. Das merke ich Monat für Monat, wenn ich für meine Kolumne auf BuchMarkt.de Fundstücke aus den Literaturblogs zusammenstelle und immer wieder begeistert bin von der Qualität und Vielfalt der Texte, die von Buchrezensionen bis hin zu gesellschaftlichen Entwicklungen reichen, die sich in der Welt der Bücher widerspiegeln. Und da man gerade am Beispiel von Elon Musk und Twitter live verfolgen kann, wie ein einzelner Mensch mit einem Ego-Problem eine etablierte Social-Media-Plattform ruinieren kann, sind die klassischen Blogs für mich das Medium der Stunde. Denn sie gehören uns, den Bloggern. Und sie werden noch da sein, wenn manch andere Kanäle keine Bedeutung mehr haben.

Persönlich hat das Bloggen über Bücher mein Leben in den letzten zehn Jahren geprägt, bereichert und verändert. Als der allererste Text online ging und ich fasziniert auf den Bildschirm schaute, hätte ich mir nicht im Traum vorstellen können, was sich daraus alles ergeben würde: Unzählige Kontakte, Pressereisen, Jurytätigkeiten, öffentliche Auftritte, ein neuer Job. Und als eines von 22 Gründungsmitgliedern am 23. April 2018 den Verein Literaturszene Köln mit aus der Taufe zu heben.

Wie viele Bücher besprichst du im Schnitt und nach welchen Kriterien entscheidest du, welches Buch es auf deinen Blog schafft?

Momentan schaffe ich im Schnitt drei Blogbeiträge im Monat. Mehr ist zeitlich nicht drin, zumal es mir nie gelingt, mich kurz zu fassen. Bei der Auswahl sehe ich mich als eine Art Buchbegeisterer: Wenn ein Buch mich mitreißt, mich berührt oder inspiriert, stelle ich es im Blog vor; in der Hoffnung, dass es so viele Menschen wie möglich lesen, die ich damit erreiche. Wahrscheinlich ist das mein Buchhändler-Gen, denn das ist der Beruf, den ich einst erlernt habe. Und beim Schreiben versuche ich zu erklären, warum mich dieses bestimmte Buch mitgerissen, berührt oder inspiriert hat. Oft mit einem persönlichen Bezug, wenn eine Lektüre mit einem Ereignis oder einer Zeit in meinem Leben zu tun hat. Persönlich, aber nie privat – das ist manchmal eine nicht ganz einfache Gratwanderung. Oder anders gesagt: Für mich ist über Literatur zu bloggen das Erzählen von Geschichten.

Verrisse gibt es im Blog äußerst selten, da ich in der Regel Bücher abbreche, wenn der Funke nicht überspringt – nach den ersten Kapiteln oder nach maximal 100 Seiten. Da bin ich inzwischen recht konsequent, denn die Leselebenszeit ist ein knappes Gut.

Hast du einen Lieblingsgautor, eine Lieblingsautorin?

Eine kurze und knackige Frage, die aber unmöglich in gleicher Weise zu beantworten ist. Es gibt einige Werke, die prägend waren für mein Leben: Philippe Djian hat mir seinerzeit mit »Betty Blue« die Tore zu einer Welt jenseits bürgerlicher Konventionen geöffnet; seine Bücher waren meine Begleiter zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr. Durch Simone de Beauvoirs »Alle Menschen sind sterblich« ist mir klar geworden, dass der Sinn des Lebens in seiner Endlichkeit besteht. Franz Kafkas Erzählung »Fürsprecher« habe ich genau im richtigen Moment gelesen. Hilary Mantels Thomas-Cromwell-Trilogie hat mir gezeigt, wie man eine längst vergangene Epoche mit purer Sprachmagie zum Leben erwecken kann. Alle vier Barcelona-Romane von Carlos Ruiz Zafón direkt hintereinander zu lesen, entwickelte einen ganz eigenen, sehr intensiven Sog. Bei »Spinner« von Benedict Wells hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen. In Lydia Sandgrens »Gesammelte Werke« habe ich viel vom eigenen Umgang mit der uns umgebenden Leere wiedergefunden. Mit Theodore Decker, dem Helden in Donna Tartts Roman »Der Distelfink« bin ich durch die Straßen New Yorks gezogen, so, als wäre ich wirklich dort. Und Daniel Schreibers »Zuhause« war wohl die emotionalste Lektüre meines Lebens. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Du arbeitest als Produktmanager im Eichborn Verlag – wie können wir uns deinen Job vorstellen und wie sieht die Verlagsarbeit aus?

Der Eichborn Verlag gehört ja seit 2011 zur Kölner Lübbe-Gruppe. Ich bin dort seit 2019 tätig und kümmere mich um alle Vermarktungsfragen, die Eichborn-Titel betreffen. Dies reicht von der Abstimmung der Marketingmaßnahmen über die Präsenz in den Sozialen Medien, regelmäßige Rundschreiben an für Eichborn interessante Buchhandlungen bis hin zur Veranstaltungsplanung und Organisation von Lesereisen. Dazu bin ich Ansprechpartner an der Schnittstelle zur Pressearbeit, arbeite eng mit den Kolleginnen und Kollegen im Vertrieb zusammen und betreue die Eichborn betreffenden Blogger-Relations. Dies alles in einem kleinen Team mit kurzen Abstimmungswegen.

Du bist Gründungsmitglied der Literaturszene Köln und warst lange Vorsitzender im Geschäftsführenden Vorstand. Nimmst du eine Veränderung der Szene in der Wahrnehmung der Lesenden wahr und wenn ja, wie sieht diese aus? 

Ein zentrales Ziel des Vereins Literaturszene Köln ist es ja, das literarische Leben in unserer Stadt sichtbarer zu machen. Ich denke, dass wir da auf einem guten Weg sind: Der erste große Aufschlag war die 1. Kölner Literaturnacht im Jahr 2019, die zweite Nacht fand 2021 unter Corona-Bedingungen statt und sorgte ebenfalls für Aufmerksamkeit. Der Kinder- und Jugendbuchtag im Sommer 2022 war ein toller Erfolg und dieses Jahr konnte der Verein durch die Beteiligung an der »Nimm Platz«-Initiative auf dem Neumarkt zahlreichen Literaturschaffenden eine öffentliche Bühne bieten. Die genannten Beispiele zeigen, dass – auch wenn wie immer noch Luft nach oben ist – das literaturaffine Publikum durch die Vereinsaktivitäten erreicht und begeistert werden kann. Und ich bin gespannt, was die kommenden Jahre bringen werden.

Literaturblog Kaffeehaussitzer

Als Kaffeehaussitzer bloggt Uwe Kalkowski über Bücher, Texte und Leseerlebnisse. Er ist seit 30 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag in Köln.

 Die Fragen stellte Paula Döring für die Literaturszene Köln.