Literaturszene Köln: Liebe Dorothee, du bist Vertreterin für Literatur bei Kiepenheuer & Witsch. Wie genau sie dein Job aus, wie gestaltet sich dein Arbeitsalltag?

Dorothee Winkler: Meine Berufsbezeichnung lautet „Verlagsvertreterin“, und ich darf den Verlag „Kiepenheuer & Witsch“ (KiWi) und dessen Berliner „Tochter“, den Verlag Galiani, Berlin vertreten. Meine Abteilung ist der Vertrieb.

Der Vertrieb gliedert sich auf in Innen- und Außendienst. Ich arbeite im Außendienst, und fungiere als Mittlerin zwischen dem Verlag und den Buchhandlung(en).  Das bedeutet, dass ich 2 x jährlich (im Frühjahr von Anfang Januar – Mitte März und im Sommer von Ende Mai – Mitte August) viele Sortiments-Buchhandlung (das sind inhabergeführte Buchhandlungen) in NRW, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, einen  kleinen Teil von Baden-Württemberg und in Luxemburg besuche, wobei sich meine Besuch in Luxemburg inzwischen komplett auf telefonische und Zoom-Termine verlagert haben.

Ich habe bei KiWi/Galiani noch sechs weitere Kolleg*innen, die die anderen Teile der Republik und die Schweiz und Österreich bereisen, und die Sortimenter-Kolleg*innen dort mit unseren Neuerscheinungen versorgen.

Ich kurve (wie meine Kollegen und Kolleginnen auch) mit meinem Auto von A nach B , und wenn ich z.B. im Saarland und in Rheinland-Pfalz unterwegs bin, übernachte ich im Hotel.

Das mache ich auch, wenn 2x im Halbjahr sogenannte Vertreter*innen-Börsen stattfinden. Dort treffen dann viele Buchhändler und Buchhändlerinnen mit mir und meinen Verlagsvertreterkollginnen und -kollegen (die andere Verlage im Gepäck haben) zusammen, und erledigen dort ihre Bestellungen. Da haben sie dann uns ganze „Bagage“ versammelt und müssen sich nicht an mehreren Tagen Zeit „frei schaufeln“, um uns in ihren Geschäften zu empfangen.

Ich sehe dennoch zu – bislang habe ich das immer noch nicht geschafft, dabei bin ich seit Januar 2018 für KiWi „auf der Straße“ -, dass ich auch in den Buchhandlungen meiner Börsenkunden und -kundinnen mindestens ein Mal gewesen bin, um mir vor Ort ein Bild von der Buchhandlung zu machen: In welchem Umfeld liegt sie, wie ist das Sortiment bestückt und so.

Das ist für mich das Spannende an inhabergeführten Buchhandlungen: Jedes Sortiment ist anders bestückt, im Sinne von Schwerpunktsetzung, Ausrichtung, Präsentation. Das ist einer der Gründe, warum ich auch im Urlaub so gerne Städte bereise, zumal die, die nicht in meinem Reisegebiet liegen. Einer meiner ersten Wege führt mich immer in die Buchhandlungen dort.

Es ist ja so, dass Buchhandlungen nicht einfach Geschäfte sind, in denen Bücher käuflich zu erwerben sind, sondern Buchhandlungen sind „Basis-Kultureinrichtungen“, Buchhändler*innen sind „Basis-Kulturschaffende“ (Zitat Nora Ruland, Buchhandlung Olitzky).  Zum einen gucke ich immer, wie schon gesagt, danach, was das Besondere am Sortiment der Buchhandlung ist, und darüber hinaus: Welche Veranstaltungen machen sie?

Das sind z.B.:

Lesungen, Büchertische bei Lesungen und Veranstaltungen, mobile Buchvorstellungen in Schulen und Kindergärten, Konzerte, Stadtteilführungen, Übernachtungen in der Buchhandlung, „Einschließen und genießen“ ( mit Wein und Häppchen) nach Ladenschluss, Lese-Kreise, Buchclubs, Fahrten mit der Kundschaft zur Buchmesse, Afternoon-Tea zu einem bestimmten Thema mit entsprechender Buchauswahl, Buchvorstell-Abende (besonders vor der Urlaubssaison im Sommer und jetzt vor Weihnachten…… Was habe ich jetzt alles vergessen?!

Allem voran die Wohlfühlatmosphäre, die Buchhändler*innen täglich schaffen für ihre Kundschaft – mit immer wieder anderen Dekorationen – im Laden, im Schaufenster, Kaffee, Tee, im Sommer Kirschsaftschorle (z.B. in Castrop-Rauxel)…..

Wenn ich, wie aktuell, in der sogenannten „reise-freien Zeit“ nicht unterwegs bin, dann lese ich die Manuskripte der Bücher, die im Frühjahr 2024 bei KiWi  und  Galiani erscheinen, und die ich dann ab Januar ein-verkaufen werde, erledige Nachbestellungen meiner Kund*innen, erfülle deren Lese-Wünsche, schreibe monatliche Newsletter (für die Buchhandlungen, die ich nicht besuche, als „Reminder“, weil meine Kund*innen z.B. Titel bei meinen Besuchen nicht bestellen, ich aber dann später noch Gründe nachliefern kann, warum sie diese Bücher UNBEDINGT doch noch brauchen, auch wenn der / die Autor*in sie mit dem Thema oder als Person an sich, oder, oder…. beim Termin nicht überzeugen konnte – und auch ich als Vertreterin / „Bücher-Botschafterin“ ;) nicht.

Die Buchhändler*innen bekommen vor meinem jeweiligen Reisestart vom Verlag sogenannte Vorschauen. Da sind alle unsere Bücher mit einem Kurztext, den die Lektor*innen verfassen, aufgeführt; mit Fotos der Autor*innen ( wir sind ein Autoren-Verlag), der Buchcover, Presse etc. -terminen, die rund um die Bücher stattfinden werden, so ich sie schon in Erfahrung bringen konnte.

Ich besuche Lesungen / Veranstaltungen unserer Autor*innen – und von Autor*innen aus anderen Verlagen, zuweilen werde ich von Buchhandlungen eingeladen, um über „meinen“ Verlag, über Bücher, über mein Berufsbild zu sprechen, u.v.m.

Literaturszene Köln: Wie wird man Literaturvertreterin, wie sieht dein persönlicher Werdegang aus?

Dorothee Winkler: Verlagsvertreterin ist kein Ausbildungsberuf. Die meisten von uns sind gelernte Buchhändler*innen.

Ich habe nach dem Abi in der Buchhandlung, in der ich bereits als Schülerin meine Bücher gekauft habe, ein Praktikum gemacht, und seither bin ich nicht mehr aus der Branche herausgekommen.

Ich habe auf Lehramt Deutsch und Geschichte studiert, und auf Magister gewechselt, nachdem mir Klaus Bittner, in dessen Buchhandlung ich lange Jahre während meines Studiums gejobbt hatte, vorgeschlagen hat, ich solle doch die „externe Buchhändler-Prüfung“ versuchen abzulegen.

Das kann man machen, wenn man mindestens 10 Jahre lang in einem Ausbildungsberuf gearbeitet hat.

Unglücklicherweise fiel meine Prüfungsvorbereitung mit dem Schreiben meiner Magisterarbeit zusammen, sodass beide Ergebnisse nur „so mittel“ geworden sind, wie meine Vertriebschefin es ausdrücken würde, aber beide „Papierchen“ ( wie meine Mama sagen würde), habe ich „in der Tasche.“

Ich habe 30 jahre lang im Buchhandel gearbeitet, 20 Jahre lang davon parallel in einem Vertreterbüro, zeitweise als freie Lektorin, und ein paar Verlagspraktika habe ich auch gemacht (bei Emons, Suhrkamp und Hanser in Vertrieb, Presse und Lektorat).

Kurz nach meinem Studienabschluss habe ich den ersten meiner beiden Söhne zur Welt gebracht, und dann habe ich immer in Teilzeit gearbeitet, bis ich mich im Frühjahr 2017 mit meinem bunten Portfolio bei KiWi beworben habe, die zu der Zeit eine neue Verlagsvertretung für NRW suchten, da mein Vorgänger sich in den Ruhestand verabschiedet hatte. Ein Jahr darauf verabschiedete sich ein weiterer Kolleg in den Ruhestand, und dessen Reisegebiet wurde nicht neu besetzt, sondern unter uns Vertreterkolleg*innen aufgeteilt.

Literaturszene Köln: Was ist für dich das schönste an deinem Beruf?

Dorothee Winkler: Ich bin ein Riesen-Glückskind, weil ich mich jeden Tag bzw. jeden Abend wieder auf den nächsten Tag freue. Ganz besonders in der Reise-Zeit.

Die ist sehr stressig, aber ich liebe es unterwegs zu sein, ich liebe die Begegnungen mit „meinen“ Buchhändlerinnen und Buchhändlern, das ist für mich wie Freunde / Freundinnen zu besuchen.

Diese Branche ist SO NETT.

Die Buchhändler*innen, die ich besuche, arbeiten zum Teil seit Jahrzehnten in ihren Buchhandlungen oder in Buchhandlungen, und lassen sich immer noch und immer wieder von Büchern, von Programmen begeistern. Und sie begeistern auch mich! Ich weiß nicht, in welchem anderen Berufsumfeld noch SO inspirierende Begegnungen stattfinden.

Ich bin mit Leib und Seele Buchhändlerin – ob jetzt im Laden stehend und mit den Endkund*innen im Gespräch oder von Verlagsseite her mit den Buchhändler*innen. Bücher sind Kommunikation, und ich kann mir nichts Schöneres denken, als die Arbeit mit Menschen und Büchern.

Literaturszene Köln: Was rätst du jungen Leuten, die Literaturvertreter:innen werden wollen?

Dorothee Winkler: Jungen Menschen, die Verlagsvertreter*innen werden wollen, sollten gerne lesen – klar, gerne mit Menschen umgehen, gerne verkaufen (ich empfinde das ja immer nie und immer noch nicht so, dass ich den Buchhändler*innen „unsere Bücher“ „verkaufe“ – ich lege sie ihnen eher „ans Herz“) und gern unterwegs sein.

Und eine Ausbildung zur / zum Buchhändler*in machen vorab!

Liebe junge Leute! Wir brauchen euch!

Im Buchhandel und in der Vertreter*innenschaft.

Die Menschen, die das machen, sind nämlich auch ausnehmend nett. Wir freuen uns immer alle sehr, wenn wir uns auf den Börsen begegnen.

Dann tauschen wir uns aus, gehen miteinander Abendessen, gleichen unsere Reisekalender ab, ob wir mal zufällig zur selben Zeit in der selben Stadt sind, und dann vielleicht einen Kaffee miteinander trinken könn(t)en (das klappt nie, aber wir freuen uns jedes Mal wieder darauf, dass es DIESES Mal vielleicht doch klappen könnte😉.

Literaturszene Köln: Am 16. November moderierst du die Lesung von Fatih Cevikkollu zu seinem Buch KARTONWAND. Wie kam es dazu und gehören auch regelmäßige Moderationen zu deinem Job?

Dorothee Winkler: Was den 16.11. betrifft und die Lesung / Veranstaltung mit Fatih Cevikkollu und seinem bei KiWi im August erschienen Buch „Kartonwand – Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie“ – eine Veranstaltung von Uli Ormanns, Agnes-Buchhandlung, in den Clouth-Werken in Nippes, bin ich ganz schön aufgeregt.

Ich spreche in der Reisezeit jeden Tag Stunden über unsere Bücher und bisweilen auch in Buchhandlungen vor Publikum, aber Moderationen gehören nicht zu den Dingen, die ich regelmäßig mache.

Mit „Kartonwand“, der Lektüre dieses Buches  ist mir etwas passiert, was mir – logisch – nicht ständig passiert: es hat mich schier umgehauen.

Ich habe selbst keinen migrantischen Hintergrund – obwohl eines meiner absoluten Lieblingslieder von den Bläck Föös, Unsere Stammbaum ist, in dem es heißt, das wir alle irgendwo her kommen – und sie damit selbstverständlich recht haben – , habe ich selbst keinen arbeits-migrantischen Hintergrund wie Fatih Cevikkollu, dessen Eltern in den 60er Jahren nach dem Anwerbeabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit der Türkei (1961), nach Deutschland gekommen sind, aber ich bin ebenso wie Fatih Cevikkollu ein ‚Kind der 70er Jahre‘, und kenne Kartonwände in Wohnungen, z.B. in der Wohnung meiner damals besten Freundin Helene, deren Eltern aus Griechenland zum Arbeiten nach Deutschland  gekommen sind.

Ich las also Fatih Cevikkollus Buch , und zwar so, wie ich, als ich 18 war, den Medicus von Noah Gordon gelesen habe: Ich konnte gar nicht so schnell lesen und blättern, wie ich die Geschichte, die Fatih Cevikkollu in dem Buch erzählt, kennenlernen wollte. Weil ich ja nicht nur ein ‚Kind der 70er Jahre‘ bin, sondern auch heute lebe. Und heute lese und höre, dass Deutschland, wir Menschen  in Deutschland, doch jetzt mal eine „Willkommenskultur“ entwickeln möchten. Weil wir Fachkräfte, Arbeitsmigrant*innen benötigen.

Das heißt, die ersten Arbeitsmigrant*innen sind in den 60er Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, und wir haben es bis ins Jahr 2023 nicht geschafft, eine Willkommenskultur zu entwickeln. Menschen, die nach Deutschland kommen, zu integrieren statt zu separieren (in weiten Teilen).

Ich freute mich also riesig auf die Buchpremiere im Theater im Bauturm am 18.08. Und da „verliebte“ ich mich nicht nur noch mehr in das Buch, sondern auch in den Autor – Fatih Cevikkollu.

Die Veranstaltung war toll, sie war sehr bewegend, sowohl die Moderatorin des Abends und der größte Teil des Publikums teilten mit Fatih Cevikkollu die Erfahrungen, die er in seiner Kindheit mit seinen Eltern gemacht hatte, was deren arbeits-migrantischen Hintergrund angeht.

Vor lauter „Mitbewegtheit“ meinerseits bin ich nicht dazu gekommen zu sagen, dass dieses Buch, Kartonwand  NOCH viel größer ist, und noch bedeutender (im Sinne von wichtig für uns alle, für uns als Gesellschaft) über die je persönliche Betroffenheit (in mehrfacher Hinsicht – ich bitte, diesen Begriff als „Teekesselchen“ zu verstehen) der meisten der Anwesenden hinaus.

Dieses Buch wird ein Standardwerk im Rahmen der Erforschung von Arbeitsmigration in Deutschland werden, und die Kenntnis des Buches, der Erfahrungen, die Fatih Cevikkollu beschreibt, sind so wichtig in der Debatte um Migration heute.

Literaturszene Köln: Welche Bücher kannst du unseren Leser:innen gerade unbedingt ans Herz legen?

Dorothee Winkler: …von Punkt 5) kann ich Punkt 6) nahtlos anschließen mit Referenz auf Punkt 3) (Was ist das Schönste an meinem Beruf?)

„Bücher sind Kommunikation“ ( s.o.):

Ich war am Donnerstag, 19.10., auf der Buchmesse in Frankfurt.

Ich hatte keinen Standdienst bei KiWi, sondern war privat unterwegs – natürlich auch an „meinem“ Stand bei „meinem“ Verlag. Ich war keine fünf Minuten in Halle 3.0 am Stand von KiWi, und traf dort auf Ellen Nickles, eine meiner Buchändlerin-Kundinnen aus Mainz. Sie fragte mich, ob ich noch ein „besonderes Buch“ in petto hätte, das sie vielleicht bislang übersehen habe, und griff – selbstredend ;) – zu Kartonwand. 

Im Gespräch darüber empfahl mir Ellen Nickles den Titel „Vatermal“ von Necati Öziri – ihr Lieblingsbuch in diesem Herbst, und wir freuten uns über und auf die jeweilige Empfehlung der anderen. Frau Nickles liest aktuell Kartonwand, ich lese Vatermal.

In weiteren Gesprächen über Kartonwand erfuhr ich von einer anderen tollen meiner BuchhändlerinKund*innen, Katja Rohles aus Saarbrücken, dass in Köln seit 2021 die Errichtung eines Gastarbeiter*innen-Denkmals geplant ist.

Wie das genau aussehen soll, ist offenbar auch heute noch nicht klar, geschweige denn, dass es bereits errichtet worden wäre (Ein Denkmal für die Gastarbeiter – ein Text von Michelle Müntefering vom 1. 09. 2020, anlässlich des 60. Jahrestages zum Anwerbeabkommen mit der Türkei). (Habe ich direkt nach meiner Rückkehr aus Frankfurt recherchiert, was es mit diesem Denkmal auf sich hat).

Dann ging ich am Stand der Bundeszentrale für politische Bildung vorbei und mir sprang ein Buch ins Auge: Einwanderungsland Deutschland 1945 – 2023 von Lobna Jamal und Mirza Odabasi. Ich fragte einen der freundlich-zugewandten Mitarbeiter am Stand, ob ich das Buch hier direkt am Stand würde bestellen können, und konnte meine Begeisterung so schlecht zügeln, dass er es mir sofort in die Hand drückte. Ich verabschiedete mich natürlich mit meiner Visitenkarte und dem Versprechen,  dass er sich gerne am Stand ein Buch von KiWi aussuchen dürfe im Gegenzug – Zum Beispiel Kartonwand ;)

Liebe Paula, liebe Leser und Leserinnen,

das ist wirklich eine große Ausnahme, dass ich derart „mono-thematisch“ unterwegs bin. Ich habe schon noch mehr Lese-Tipps auf Lager…..

Von KiWi / Galiani z. B. „Der Kaninchenstall“ von Tess Gunty, „Alle meine Geister“ von Uwe Timm und „Die Erfindung des Lächelns“ von Tom Hillenbrand, „Betrug“ von Zadie Smith… und viele mehr!

Danke für das schöne Gespräch, liebe Dorothee!