Literaturszene Köln: Liebe Sabine, du arbeitest als freiberufliche Übersetzerin für Indonesisch und Englisch. Wie bist du zu „deinen“ Sprachen gekommen?

Sabine Müller: Andere Länder, Kulturen und Sprachen haben mich schon immer fasziniert. Bevor ich mit dem Studium der Ethnologie an der Universität Köln begann, war mir klar, dass man umso mehr von einem Land und seinen Leuten erfährt, wenn man auch die Sprache versteht und spricht. Während einer längeren Reise durch Südostasien habe ich unter anderem Indonesien besucht und war begeistert von seiner in jeder Hinsicht unglaublichen Vielfalt. Mich interessierte und beschäftigte die politische Situation (damals noch unter Präsident Suharto), die vielen unterschiedlichen Kulturen, die lebendige Theater- und Literaturszene. An der Uni in Köln gab es damals noch den Malaiologischen Apparat, dieser war an die Islamwissenschaften angegliedert und bot im Studienschwerpunkt Indonesische Literaturwissenschaft, Sprache und Kultur. In Kombination mit Ethnologie eine perfekte Studienmischung für mich. Außerdem hatte ich die Möglichkeit, nach der Zwischenprüfung für ein Jahr an der Universität Gadjah Mada in Yogyakarta Indonesisch zu studieren. Nach dem Studium wollte ich für längere Zeit in Indonesien leben und arbeiten. Das durfte ich im Rahmen eines fünfjährigen Arbeitsaufenthalts an einer Fachhochschule in Bandung und am Goethe-Institut Jakarta in die Tat umsetzen. In dieser Zeit habe ich schließlich auch mit dem Übersetzen angefangen.

Ich bin immer verblüfft, wenn Kolleg:innen berichten, welche Wege oder besser Umwege sie zum literarischen Übersetzen genommen haben. Uns allen gemeinsam ist aber wohl das ausgeprägte Interesse an Land und Region, in der die jeweilige Sprache gesprochen wird, die Freude am Übersetzen und die Freude daran, sich immer wieder mit spannenden Nuancen der Sprache und ihrem kulturellen Kontext – und den Menschen, die diese Sprache sprechen und in dieser schreiben, – auseinanderzusetzen.

LS: Was muss man als junger Mensch machen, um Übersetzer:in zu werden?

SM: Sicher gibt es nicht den einen Weg, den man als junger Mensch zum Übersetzen beschreiten kann oder sollte. Wer eine zweite Sprache spricht, hat nicht unbedingt Freude am Übersetzen. Wer gerne übersetzen möchte, lernt vielleicht nicht so gerne Vokabeln oder tut sich schwer mit dem Erlernen einer Fremdsprache. Während die eine eher literarische Texte übersetzt, möchte der andere eher im Bereich Sachtext arbeiten. Unerlässlich ist, eine Sprache lesen und verstehen zu können sowie einen Zugang zu gesellschaftlichen Kontexten zu haben. Es ist sicher von großem Vorteil, das Land oder die Region, in der die Sprache gesprochen wird, zu kennen.

Als ich nach dem Grundstudium zum Studieren nach Indonesien kam, habe ich mich gefragt, welche Sprache meine Mitstudierenden wohl sprechen. Das, was ich dort in meinem neuen Lebensumfeld hörte, hatte kaum etwas mit der Sprache zu tun, die ich in den Seminaren auf der Uni gelernt hatte oder die ich in den indonesischsprachigen Zeitungen und Büchern las. Ich würde auf jeden Fall empfehlen, in das Land zu reisen, Kontakte zu knüpfen, möglichst viel in der Sprache zu sprechen und zu lesen. Dank Internet haben wir die Möglichkeit, an eine Fülle von Lesestoff in beinahe jeder Sprache zu kommen und jede Menge von audiovisuellen Angeboten zu nutzen. Auch wenn die Pandemie uns allen einen Strich durch das Reisen macht, Möglichkeiten zum Sprechen, Lesen, weiter Lernen gibt es unabhängig von Zeit und Ort.

Empfehlen kann ich außerdem: Übersetzer:innen sind cool! Knüpft Kontakt mit anderen Übersetzer:innen – natürlich auch sprachübergreifend, tauscht euch aus! Kollege:innen oder einen Stammtisch von Übersetzer:innen lassen sich sicher in der Nähe finden. Enorm hilfreich sind natürlich auch Fortbildungsmöglichkeiten zu den unterschiedlichsten Themen rund ums Übersetzen. Ob Deutscher Übersetzerfonds, die Übersetzerhäuser in Straelen oder Looren, der Verband deutschsprachiger Literaturübersetzer:innen (VdÜ) und weitere Organisationen und Einrichtungen haben eine Fülle von hilfreichen und interessanten berufsrelevanten Angeboten in ihrem Programm.

Ein Sprachstudium, ein längerer Auslandsaufenthalt, Zweisprachigkeit, die Liebe – es gibt viele Wege zum Übersetzen. Wobei Übersetzen nicht gleich Übersetzen ist. Sach- und Fachtexte erfordern einen ganz anderen sprachlichen und thematischen Sachverstand als das literarische Übersetzen, für das man Sattelfestigkeit in unterschiedlichen sprachlichen Registern des Deutschen mitbringen sollte. Für das Dolmetschen muss man nicht nur zwei Sprachen fließend beherrschen, sondern das von Dritten Gesagte blitzschnell im Kopf begriffen, übersetzt und wieder ausgeworfen haben. Ein echter Nervenkitzel! Sowohl das Dolmetschen als auch das (literarische) Übersetzen lässt sich außerdem im Studium lernen. An der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf kann man etwa im Masterstudiengang Literaturübersetzen studieren, so auch an der Ludwig Maximilians Universität München, hier gibt es zusätzlich den Studiengang Dolmetschen; berufsbegleitend bietet die Universität Stuttgart ein Studium in Fachübersetzen an, und der Bachelor-Abschluss in Übersetzen und Dolmetschen wird an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz/Germersheim verliehen. Es gibt sicher noch andere Fachhochschulen und Universitäten mit vergleichbaren Studiengängen.

LS: Wie sieht dein Arbeitsalltag aus und wie kommst du zu neuen Projekten?

SM: Ein Übersetzungsalltag ist häufig lang. Und ich spreche wohl für die meisten meiner Kolleg:innen, wenn ich sage, dass die Übersetzungsarbeit am Schreibtisch eine ordentliche Portion Disziplin und Ausdauer erfordert. Abgabetermine rücken meist erschreckend schneller heran als man denkt. Ein ergonomischer Arbeitsplatz ist mehr als nur empfehlenswert. Die Arbeit an einem längeren literarischen Text, einem Roman oder Kurzgeschichtenband etwa, verlangt nicht nur das Übertragen von der Ausgangs- in die Zielsprache, sondern auch viel Recherchearbeit. Meine produktivste Zeit, in der ich mich am besten konzentrieren kann, sind die Morgenstunden, diese nutze ich für die Arbeit am Text. Zu anderen Tageszeiten, meist abends, lese ich Sekundäres, nicht nur über die Autorin und das, was sie bisher geschrieben bzw. veröffentlicht hat – ich lese möglichst (alle) andere(n) Werke von ihr, soweit ich sie beschaffen kann -, sondern auch Materialien zum politischen, historischen, kulturellen Hintergrund. Ich möchte damit möglichst vermeiden, dass mir beim Übersetzen wichtige Bezüge durch die Lappen gehen, und die Hintergrundlektüre ermöglicht mir ein besseres Verständnis des vorliegenden Textes. Wenn der Autor oder die Autorin noch lebt, tausche ich mich möglichst mit ihm/ihr aus. Bisher habe ich dabei nur sehr gute Erfahrungen sammeln können und der Austausch funktioniert sehr gut über E-Mail, Whatsapp oder dergleichen.

Was die indonesische Literatur angeht, so findet sich nach wie vor nicht der fruchtbarste Boden dafür auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Verlage rennen mir nicht die Türe ein. Einige klopfen aber doch an. Eine andere Möglichkeit ist, sich selbst aktiv mit einem Titel an einen Verlag zu wenden und ihn von der Relevanz für hiesige Leser:innen und von der literarischen Qualität zu überzeugen.

LS: Sprache verändert sich im Wandel der Zeit, wie bleibst du auf dem Laufenden? Gerade mit einer Sprache wie dem Indonesischen ist es sicher nicht so einfach wie beispielsweise mit der englischen Sprache.

SM: Die indonesische gesprochene Sprache verändert sich rasend schnell – gerade in den großen Städten und unter jungen Menschen. Umgangssprachlich kann ich aus der Ferne da kaum mithalten. Wunderbar ist, wenn ich vor Ort sein und mit Menschen sprechen kann. Die Literaturszene Indonesiens ist wie das Land riesig und sehr lebendig. Aktuelle literarisch verarbeitete Themen, Autor:innen der jüngeren Generation – es gibt so viel zu entdecken, und da auf dem Laufenden zu bleiben, ist schwierig. Ich habe das Glück, dass mich Freund:innen in oder aus Indonesien oder auch in Deutschland, die auf unterschiedliche Weise mit Indonesien zu tun haben, durch die literarische Landschaft des Landes begleiten, mich auf interessante Neuerscheinungen aufmerksam machen oder mir ein Buch schicken. In der letzten Zeit habe ich häufiger einen indonesischen Verlag gebeten, mir ein Leseexemplar als PDF zu senden.

Über Videocalls mit Freund:innen und Kolleg:innen in Indonesien erfahre ich Vieles. Außerdem nehme ich an indonesischen Online-Veranstaltungen zu literarischen Themen teil.

LS: Wie nimmst du die Kölner Literaturszene wahr und was würdest du dir für die Zukunft wünschen?

SM: Lebendig und divers. Das finde ich schon bemerkenswert an Köln. Mit dem Literaturhaus Köln etwa besteht ein schöner Ort, der nicht nur ein vielseitiges, zeitgemäßes, spannendes Programm an literarischen Veranstaltungen bietet, sondern auch unterschiedliche Akteure miteinander in Verbindung zu bringen versucht. Die Literaturszene Köln setzt sich für stärkere Sichtbarmachung und Vernetzung nicht nur von literarischen Akteuren ein, sondern auch für den interdisziplinären Austausch über die Literatur hinaus. Auch akademisch tut sich was in Köln mit dem Studiengang Literarisches Schreiben. Das Festival Lit.Cologne ist ein Publikumsmagnet. In jedem Viertel gibt es schöne Buchhandlungen mit eigenem, interessantem Programm für das Publikum, es gibt einige tolle Verlage. Man kann etliche andere regelmäßig stattfindende, unabhängige Veranstaltungen und Festivals besuchen, relativ neu zum Beispiel Kliteratur, das Europäische Literaturfestival Kalk. Dann gibt es den Literarischen Salon, den Literaturklub …. Die Kölner Liste von Einrichtungen, Orten, Programmen und vor allem Menschen, die Literatur schaffen, auf die Bühnen bringen, veröffentlichen und zu den Leser:innen bringen, ist lang.

Großartig ist: Einige Macher:innen in der Literaturszene haben auch uns, die in und um Köln lebenden Übersetzerinnen und Übersetzer, im Blick und unterstützen uns aktiv dabei, sichtbarer zu werden und uns und unsere Arbeit vorzustellen. Bei der Kölner Literaturnacht 2019 und 2021 hatten einige Kolleg:innen Gelegenheit, mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten mitzumachen. Am 30. Oktober letzten Jahres gab es erstmalig einen Tag des Übersetzens im Literaturhaus Köln, eine Veranstaltung der Weltlesebühne, einem Zusammenschluss von Übersetzer:innen in Deutschland und der Schweiz, mit dem Literaturhaus.

Ich wünsche mir, dass das Netzwerk weiter wächst, vor allem auch mehr zusammenwächst, und es künftig mehr Überschneidungen von Orten, Menschen und deren Aktivitäten gibt.

Wenn ich einen gegenständlichen Wunsch frei hätte, wäre das: ein Café im Literaturhaus, für Veranstaltungen, aber auch tagsüber und abends in Betrieb für beiläufige und verabredete, spontane und angestoßene Begegnungen, Gespräche, Austausch, Debattiererei.

LS: Ihr veranstaltet regelmäßig einen Stammtisch für Übersetzer:innen. Wann findet dieser statt, was können wir uns darunter vorstellen und wie können Interessierte teilnehmen?

SM: Ja, unser Stammtisch findet an jedem ersten Dienstag im Monat um 19:30 Uhr statt. Er ist offen für alle Interessierten. Es kommen Übersetzer:innen aus den unterschiedlichsten Sprachen aus Köln und dem näheren Umland (u.a. Bonn, Kerpen, Solingen, Düsseldorf) zusammen, um sich über eine breite Palette an Themen auszutauschen, darunter Berufspolitisches, etwa zu konkreten Honorar- oder Vertragsfragen, wir tauschen uns zu sprachübergreifenden Themen aus, machen uns auf Veranstaltungen oder Veröffentlichungen aufmerksam, besprechen aktuelle Projekte, sprechen aber auch darüber, was uns gerade beschäftigt – nicht nur was die Arbeit angeht. Außerdem wird natürlich gegessen, getrunken und gelacht. Seit einiger Zeit treffen wir uns in der Alten Feuerwache, in der immer ein Tisch für uns reserviert ist. Künftig wollen wir aber auch im Wechsel einmal vegane Restaurants ausprobieren.

Während des Lockdowns oder aufgrund der steigenden Inzidenzzahlen und Einschränkungen haben wir in 2020 und 2021 einige Online-Stammtische abgehalten. Der positive Effekt: So konnten auch Kolleginnen und Kollegen von weiter her, z.B. aus Andalusien, Heidelberg oder Berlin, teilnehmen. Außerdem haben wir das digitale Stammtischformat mit einer Reihe von Online-Präsentationen von eigenen aktuellen Übersetzungen angereichert. Während des Treffens haben ein bis drei Kolleg:innen ein Buch, das sie entweder gerade übersetzt haben oder das kürzlich erschienen ist, in der Runde vorgestellt. Es blieb Raum für Fragen zum Buch und für ein offenes Gespräch. In entspannter Atmosphäre erfahren wir so online und offline, wie und woran die Kolleg:innen arbeiten und mit welchen Themen sie sich beschäftigen. Das Besondere an unserem Stammtisch ist wohl unsere Sprachvielfalt. Es ist dem Zufall zu verdanken, dass gerade bei unserer Runde neben Englisch, Italienisch oder Französisch auch einige sogenannte kleine Sprachen vertreten sind wie Hebräisch, Arabisch, Indonesisch, Tibetisch, Isländisch oder Japanisch.

Eine große Schnittmenge unseres Stammtisches ergibt sich mit der o.g. Weltlesebühne. Veranstaltungen wie der Internationale Tag des Übersetzens am 30. September, dem Hieronymustag (fehlt auch oben in der Liste), oder die eben erwähnte Beteiligung an der Kölner Literaturnacht oder am Tag des Übersetzens werden besprochen und es finden sich interessierte Mitmacher:innen zusammen.

Ein grillender Stammtisch findet im Sommer im Schrebergarten eines Kollegen statt und den letzten Stammtisch im Jahr begehen wir mit einem gemeinsamen Gansessen, wobei wir Schlemmerei und Gespräch an diesem Abend mit Wichteln von Leseexemplaren eigener Übersetzungen verbinden.

Wer Lust hat, an der Stammtischrunde teilzunehmen, ist herzlich eingeladen.

Weitere Infos:

Sabine Müller

info@transedit.de

Der nächste Stammtisch findet statt am Dienstag, 1. März 2022