Die Dezember-Ausgabe 2022 des DRAUSSENSEITER, dem Kölner Stadtmagazin, ist in Kooperation mit der Literaturszene Köln entstanden. Inhaltlicher Schwerpunkt war das Thema Hoffnung.

Chefredakteurin Christina Bacher traf im Literaturhaus Köln die bekannte Literaturkritikerin Elke Heidenreich und einen der belesensten Strassenzeitungsverkäufer Lothar Schmieding zum Gespräch ins Literaturhaus Köln. Außerdem haben sich sechs renommierte Autorinnen und Autoren aus Köln Gedanken zum Thema Hoffnung gemacht und exklusiv Texte verfasst – namentlich sind das Brigitte Glaser, Seyda Kurt, Enno Stahl, Sabine Schiffner, Leo Leowald und Samy Challah.

Alle im DRAUSSENSEITER veröffentlichten und in Zusammenarbeit mit der Literaturszene Köln entstandenen Texte werden in den kommenden Woche nach und nach auf der Website der Literaturszene Köln veröffentlich.

Viel Freude beim Lesen – wir sind gespannt auf euer Feedback und bedanken uns bei allen, die diese Ausgabe ermöglicht haben.

Der erste Beitrag stammt von Literaturkritikerin Elke Heidenreich:

Gedanken über Hoffnung.

Elke Heidenreich

Das kennen wir aus der Bibel:

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Im ersten Brief an die Korinther steht das, in Kapitel 13. Die Bibel hat ja nicht Gott geschrieben, das haben Menschen getan. Die Briefe an die Korinther schrieb der Apostel Paulus, und der kann sich auch schon mal irren. „Die Liebe ist die größte unter ihnen?“

Ich bin mir da nicht so sicher… die Liebe, so wunderschön und gewiss wichtig sie im Leben ist, ist schon eine sehr unzuverlässige Angelegenheit, oft genau so schnell wieder verschwunden wie aufgetaucht, nicht festzuhalten, und mit viel zu vielen Erwartungen behaftet. Der Glaube? Das muss jeder für sich selbst entscheiden, ich denke, es ist auch eine Gnade, wenn man glauben kann, eine Gnade und gewiss ein Trost. Als Kinder konnten wir alle noch die Hände falten und beten: „Lieber Gott, mach, dass…“ Und wir haben daran geglaubt, dass er es schon richten wird. Im Verlauf des Lebens geht den meisten von uns dieser Glaube aber verloren.

Bleibt die Hoffnung. In der Schule lernten wir Gedichte:

„So oft die Sonne aufersteht,

erneuert sich mein Hoffen

Und bleibet, bis sie untergeht,

Wie eine Blume offen.“ 

Das ist ein Gedichtanfang von Gottfried Keller, und Emanuel Geibel dichtete:

 „Und dräut der Winter noch so sehr

Mit trotzigen Gebärden,

Und streut er Eis und Schnee umher,

Es muss doch Frühling werden.“

Es muss doch. Es muss doch besser werden. Alles: das Wetter, das Leben, der Zustand der Welt, mein eigener. Kranke hoffen auf Gesundheit, Arme auf Hilfe, Einsame auf Liebe. Wir hoffen auf Lottogewinne, Glückslose, einen Platz an der Sonne oder einfach nur, wie Sven Regener augenzwinkernd singt, darauf, „dass einer das Klo repariert.“

Ohne Hoffnung geht es nicht, ohne Hoffnung würden wir verzagen, aufgeben. Und aufgeben gilt nicht, weil wir nur dieses eine einzige Leben haben, ein zweites kommt nicht um die Ecke, also, wenn es zur Zeit versemmelt ist – durch eigene Schuld oder durch Unglück: Hoffnung auf eine Lösung, eine Verbesserung hält uns auf Trab. Das bedeutet: Hoffnung sollte uns nicht die Hände in den Schoß legen und auf ein Wunder hoffen lassen, sondern sie sollte leuchten wie das Licht am Ende des Tunnels, auf das wir zugehen. Gehen müssen wir aber schon selber, von allein kommt  das Licht nicht in den Tunnel.

Einem Hoffnungslosen das zu sagen, klingt ja fast zynisch. Aber wie sollte man denn sonst überleben wenn nicht mit tätiger Hoffnung? Die Suche nach irgendeiner Art von Glück ist immer von Hoffnung begleitet.

Die Hoffnung verlieren, die Hoffnung aufgeben – das kann keine Lösung sein, das ist ein trauriger Zustand, aber es sollte möglich sein, aus diesem schwarzen Loch wieder heraus zu finden. Man muss es wollen. Das heißt nicht, alle Probleme lassen sich lösen. Aber man kann einiges doch wenigstens versuchen. Kann man „Hoffnung“ durch „Zuversicht“ ersetzen?

„Wenn die Hoffnung nicht wär, so lebt‘ ich nicht mehr“ heißt es im Volksmund. Und schwangere Frauen sind „guter Hoffnung“. Hoffnung auf ein neues Leben. Man sollte, denke ich, irgendwie immer „guter Hoffnung“ sein, das geht auch ohne Schwangerschaft. Es braucht dieses Quäntchen Zuversicht, dass es – es, nicht alles! – schon gut wird, mit meiner Anstrengung, mit der Hilfe von Freunden, Helfern, Unterstützern.

Wie mache ich jemandem, der auf der Straße lebt, Hoffnung? Einige – ich glaube, allzu viele sind es sicher nicht – wollen diesen Zustand. Sie fühlen sich nur dann frei und unabhängig, bei allen Gefahren, Risiken, Anstrengungen, die so ein Leben mit sich bringt. Sie haben sich ausgeklinkt aus dem sogenannten normalen Leben mit seinen oft unzumutbaren Anforderungen. Die meisten aber wollen sicher aus dieser als hoffnungslos empfundenen Lage wieder heraus, so schnell wie möglich, gerade jetzt, im Winter. Es gibt Hilfe, die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. (Wir 68er haben damals gewitzelt: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“ und haben Häuser besetzt, weil wir bei unsern Eltern nicht mehr wohnen wollten.)

Ich sehe die Bilder vom Krieg in so vielen Ländern und denke: wie halten die das aus? Ohne Hoffnung ginge es wahrscheinlich nicht, Hoffnung auf Frieden, Aufbau, ein neues, besseres Leben.

Die Liebe hat mich schon oft genarrt, der Glaube hat mich irgendwann verlassen, aber ohne Hoffnung war und bin ich nie.

Ein Gedicht von Rainer Maria Rilke beginnt so:

„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

die sich über die Dinge ziehn.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

aber versuchen will ich ihn.“

Hoffnung bis zuletzt. Das ist eigentlich ein Geschenk, oder? Nehmen wir es an.