Zusammenfassung

Das Interview für die Literaturszene Köln führte Paula Döring. Sie ist Vorstandsmitglied der Literaturszene Köln und macht mit ihrer Agentur pd//pr die Pressearbeit für „Remix Alamanya“.

Paula Döring: Gerade ist euer Buch „Remix Almanya. Eine postmigrantische HipHop-Geschichte“ erschienen. Hannes und Murat, ihr habt das Buch geschrieben, Uh-Young Kim ist Co-Autor und Produzent. Erzählt doch mal ein bisschen, wie ist es zu dem Projekt gekommen?

Hannes: Wir sind mit dem Thema seit über 20 Jahren im Rahmen von Lesungen in ganz Deutschland unterwegs. In dieser Zeit ist HipHop zum dominierenden Teil der Popkultur in Almanya geworden. Gangsta-Rap hat zuerst die Kinderzimmer und dann die Feuilletons erobert. Wir haben diese Entwicklung beobachtet, analysiert und mit vielen Menschen diskutiert. Gleichzeitig haben wir einen Blick zurückgeworfen und uns – angeregt von der Compilation „Songs of Gastarbeiter“ von Imran Ayata und Bülent Kullukçu – mit der Vielfalt der künstlerisch-musikalischen Tradition der ersten Generation so genannter Gastarbeiter*innen beschäftigt. Hier haben wir einen überraschenden Zusammenhang mit der aktuellen Rap-Kultur in Almanya gesehen. Schließlich haben sich die vielen neuen Erkenntnisse in unserem Kopf wie ein Puzzle zu einer neuen Erzählung zusammengefügt. Und daraus ist „Remix Almanya“ entstanden, die erste politische Geschichte von HipHop in Deutschland.

Murat: Außerdem war uns bewusst, dass wir nicht einfach eine Fortsetzung von unserem ersten Buch “Fear of a Kanak Planet” schreiben wollten. Uns ging es um eine Strukturierung des Wissens der letzten 20 Jahre. Es zeichnete sich ziemlich schnell ab, dass wir nicht nur einen Lektor für unser Buch suchten. Wir brauchten ein Gegenüber, mit dem wir unsere Erfahrungen und unser Wissen reflektieren und auch in Frage stellen konnten. Genau hier kam Uh-Young ins Spiel.

Paula: In der Ankündigung sagt ihr, dass ihr mit dem Buch die Geschichte von Hip-Hop neu schreibt.  Was unterscheidet euren Ansatz von bisherigen Publikationen, was ist das Besondere an eurer Herangehensweise?

Hannes: Erstaunlicherweise gibt es solch eine gesellschaftlich-historische Gesamtschau in der Hip-Hop-Literatur noch nicht. Es gibt einige TV-Dokumentationen, die die Entwicklung von Hip-Hop vom Underground-Phänomen hin zum dominierenden Pop-Ereignis nachzeichnen. Die Besonderheiten einer „deutschen“ Hip-Hop-Geschichte und die tiefgreifende politische Dimension, die Rap als ein postmigrantisches Phänomen in Almanya von Beginn an hatte, werden in „Remix Almanya“ zum ersten Mal erzählt.

Murat: Die bisherigen Ansätze der Historisierung des Hip-Hop haben im Zentrum ihrer Erzählung in der Regel eine lineare Erfolgsgeschichte. Dies deckt sich sowohl mit meiner eigenen Biografie nicht als auch mit dem Blick auf andere Rap-Crews mit migrantisch-stämmigen Künstler:innen in den 90er Jahren. Vor allem die Rap-Kultur ist geprägt von Ein- und Ausschluss, die sich vor allem in Deutschland an ethnisch-nationalen Differenzlinien festmachte. Meiner eigenen Crew als auch vielen Kolleg:innen von mir wurde der Stempel des “Oriental-Hip-Hop” aufgedrückt. Migrant:innen passten in den 90er Jahren nicht in die Erfolgserzählung “Deutschrap”. Unser Buch legt noch viele weitere Mechanismen des Ein- und Ausschlusses offen.

Paula: Murat, du lebst in Frankfurt, Hannes du in Köln. Wie ist eure Verbindung und wie habt ihr euch kennengelernt?

Hannes: Murat und ich haben uns Ende der 1990er Jahre in Frankfurt in der Nordweststadt bei einem Konzert kennengelernt. Und letztendlich ist es Murat zu verdanken, dass „Remix Almanya“ überhaupt erschienen ist. Er hat unseren alten Verlag (Hannibal) davon überzeugt, dass nach unserem Erstlingswerk „Fear of a Kanak Planet“ (2002) die Zeit reif ist, um endlich die Geschichte von Hip-Hop als erstes postmigrantisches Kulturphänomen der Bonner Republik zu erzählen. Und im Schatten der Wiederwahl von Donald Trump im Heimatland der Hip-Hop-Kultur ist es wichtiger denn je, die positive und verbindende Kraft einer postmigrantischen Utopie zu betonen. Hip-Hop hat viele Elemente, die eine solche positive Utopie benötigt. Mit Uh-Young als Co-Autor hatten wir zum ersten Mal eine Person mit im Boot, die uns dabei half, unser Narrativ in eine kraftvolle und überzeugende Form zu bringen. Das hat diesem Projekt sehr gutgetan.

Murat: In meiner Biografie kann ich an vielen Stellen den Einfluss der Hip-Hop-Kultur deutlich machen. Über diese Kultur habe ich wunderbare Menschen kennengelernt und bin darüber gereift. Hier paaren sich Leidenschaft, Freundschaft und eine globale Musikkultur miteinander. Dass Hannes und ich seit über 20-Jahren intensiv miteinander arbeiten, ist Ausdruck einer tiefen Freundschaft, die uns Hip-Hop ermöglicht hat. Wir erlebten die Positivität und das Versprechen dieser Kultur. Denn nicht die Herkunft, sondern das Können war die Brücke zur Sichtbarkeit. Dass diese Kultur einen niedrigschwelligen Zugang hatte, war für mich besonders wichtig.

Paula: Wie nehmt ihr denn zum einen die Kölner Hip-Hop-Szene wahr und zum anderen die Literaturszene?

Hannes: Rap ist inzwischen so groß geworden, dass man selbst in einzelnen Städten nicht mehr von einer einheitlichen Szene sprechen kann. Wir haben hier ganz verschiedene Bubbles, die sich zum einen auf einer horizontalen Linie entlang von verschiedenen Subgenres aufteilen. Es gibt aber auch auf einer vertikalen Ebene große Unterschiede zwischen den Generationen, die sich teilweise kaum überschneiden. Ich kenne einige Artists und gehe manchmal auf Konzerte. Als Familienvater und Ü-50-Gesamtschullehrer bin ich jedoch kein aktiver Teil dieser immer noch sehr jungen Musikkultur.

Murat: Sowohl Köln als auch Frankfurt waren in den 90er Jahren im Hip-Hop-Kontext wichtig gewesen. Dass verschob sich mit der neuen Hauptstadt Berlin. Denn nicht nur Kulturschaffende, sondern auch Strukturen sind gerade von Frankfurt nach Berlin gezogen. Besonders ist hier die Firma Sony Music zu nennen, die mit ihrem Umzug ein tiefes Loch in Frankfurt hinterließ. Das geht dann weiter über Plattenfirmen und Club Struktur, die auch in den späten 90er Jahren wegbrachen. In Köln spürte man den Wegzug der Musikmesse Popkomm. Mit Haftbefehl oder auch Celo & Abdi kam Frankfurt wieder zurück. Ich beobachte, dass mittlerweile Autoren Bücher schreiben, bei denen ihre Sozialisation mit Hip-Hop deutlich wird. Da muss man sich nur aktuelle Literaten wie Necati Öziri oder Fatma Aydemir anschauen. Ihre Bücher behandeln Themen, die auch in Rap-Texten verhandelt werden.