Zusammenfassung

Die neue Direktorin der Kölner Stadtbibliothek Anja Flicker im Interview

Die Diplombibliothekarin Anja Flicker ist seit dem 1. Januar 2025 die neue Direktorin der Kölner Stadtbibliothek. Damit trat sie die Nachfolge von Dr. Hannelore Vogt an, die bereits seit Juli vergangenen Jahres in Ruhestand ist. Anja Flicker kann auf viel Erfahrung zurückblicken: Nach ihrem Studium des Bibliothekswesens in Köln arbeitete sie ab 1993 an der Münchner Stadtbibliothek und zwischen 2001 und 2010 in mehreren Unternehmen im Bereich Wissensmanagement. Von 2010 an leitete sie die Stadtbücherei Würzburg und von Juni 2020 bis Ende letzten Jahres war sie die Direktorin des Bibliothekssystem Essen. Ein besonderes Augenmerk legte Flicker dabei auf die Gestaltung der Bibliotheken als sogenannte Dritte Orte im Sinne des US-amerikanischen Stadtsoziologen Ray Oldenburg. Damit ist gemeint, dass es neben dem Arbeitsplatz weitere öffentliche Räume braucht, die gemeinschaftsstiftend wirken können, um so einen Ausgleich zu Familie und Beruf zu bieten. Die Literaturszene Köln hatte die Möglichkeit, mit Anja Flicker zu sprechen, wie dieses Konzept in Köln umgesetzt werden soll. 

Was fasziniert Sie an Bibliotheken, warum haben Sie diesen Beruf gewählt? 

Das sind ja die großen Fragen gleich am Anfang. Ich habe als Kind schon gerne und viel gelesen und dachte zuerst, ich werde Buchhändlerin. Dann hat mich bei einem Praktikum eine Buchhändlerin darauf aufmerksam gemacht, dass man Bibliothekswesen studieren kann. Das hatte ich vorher gar nicht auf dem Schirm. Da ich allerdings schon als Kind in Bibliotheken ein- und ausgegangen bin, habe ich dann diesen Weg eingeschlagen und schließlich in Köln studiert. 

© Jörg Gottschalk

Warum braucht es heute noch Bibliotheken? Man könnte ja meinen, dass das Buch eher ein altes Medium ist und langsam aus der Mode kommt. 

Es braucht Bibliotheken heute mehr denn je, weil zu allem, was Bibliotheken schon immer geleistet haben und auch heute noch leisten, immer weitere Aufgaben dazukommen. Mein Studium liegt mittlerweile bereits ungefähr 35 Jahre zurück, seitdem sind die Aufgaben, die eine Bibliothek zu übernehmen hat, immer vielfältiger geworden. Damals standen lediglich Bücher im Regal, dann sind viele unterschiedliche andere Medien dazugekommen. Schließlich erreichte auch die Bibliotheken das Thema Digitalität und Digitalisierung sowie Social Media. Das alles sind Themen, zu denen nicht alle Menschen in unserer Gesellschaft immer direkten Zugang haben. Nicht alle besitzen direkt die entsprechende Medienkompetenz. Bibliotheken übernehmen die Aufgabe, dies zu ändern. Es sind nicht einfach Orte, an denen man Bücher ausleiht, sondern auch solche, an denen man eine sogenannte Digital Literacy durch Schulungen erlernen kann. In der jüngsten Zeit kommt Bibliotheken zudem auch die Rolle zu, so brennende Themen wie unser gesellschaftliches Miteinander im Sinne einer Demokratieförderung zu unterstützen. Dadurch, dass man Bibliotheken in real life besuchen kann, wirken sie der Vereinsamung entgegenwirken. Man muss nicht alleine zuhause bleiben oder sich ins Digitale zurückziehen, sondern kann in der Bibliothek anderen Menschen begegnen. Deswegen ist es so wichtig, den tatsächlichen Ort gut zu gestalten. 

Wie wollen Sie das in Köln konkret umsetzen? Wie soll die Stadtbibliothek diesen ganzen Aufgaben gerecht werden?

Die Stadtbibliothek Köln ist im Vergleich bereits sehr zukunftsfähig. Viele Außenstehende schauen auf Köln und nehmen sich die hiesigen Konzepte zum Vorbild. Wie hat Köln das ganze Thema KI, also künstliche Intelligenz, aufgegriffen? Wie steht es um die Digitalisierung? Wichtig ist auch die Frage, wie die Stadtbibliothek Köln als sogenannter Dritter Ort gestaltet werden kann. Köln ist da schon sehr fortgeschritten und entspricht in weiten Teilen dem, was ich bereits in Würzburg oder Essen verwirklicht habe. Das heißt, das, was jetzt schon passiert, wird auf jeden Fall in die gleiche Richtung weiterlaufen. Ich werde der Linie meiner Vorgängerin treu bleiben. So wird beispielsweise alles, was für die neue Zentralbibliothek geplant ist, auch genau  so umgesetzt. Trotzdem bedeutet das, dass wir natürlich immer auf dem Laufenden bleiben müssen und uns nicht ausruhen dürfen. Wir müssen weiterhin für die Gesellschaft relevante Themen und Angebote finden, und auch viel mit den Menschen reden, um herauszufinden, welche Bedürfnisse wir adressieren können, um unsere Konzepte zu verbessern.

Wird es inhaltliche Akzente geben, die speziell auf Köln zugeschnitten sind? 

Spezielle Bedürfnisse und Akzente für Köln habe ich noch nicht identifizieren können. Ich merke zwar, dass viele Kölner:innen immer sagen „Das ist ja typisch Köln!“, aber von außen ist es meiner Erfahrung nach so, dass viele Dinge in vielen anderen Städten ähnlich verlaufen, z.B. dass man bei der Sanierung von Bestandsgebäuden auf Überraschungen stößt, die den Umbau verzögern. Das ist kein Einzelfall. Spezifisch Köln im positiven Sinne ist unter anderem die umfangreiche Veranstaltungsarbeit. Es gilt jedoch, sich nicht auf dem Gedanken auszuruhen, dass die Sachen schon immer so liefen, wie sie liefen, sondern Neues zu finden – und dabei flexibel zu bleiben. Dafür sind wir in Köln durch die Organisationsstruktur sehr gut aufgestellt. Mein Eindruck nach den ersten Wochen ist, dass die Zusammenarbeit zwischen den Stadtteilbibliotheken und der Zentralbibliothek sehr gut funktioniert und dadurch ein flexibles und agiles Arbeiten möglich ist, das eng auf die Kölner Bürger:innen, aber auch die Literaturszene in Köln, zugeschnitten ist. 

Was sind denn beispielsweise Bedürfnisse, die von den Bürger:innen oder auch der Literaturszene in Köln an Sie herangetragen wurden? Gibt es da welche, die besonders herausstechen?

Noch nicht. Ich bin gerade dabei mit meinen Kolleg:innen und den jeweiligen Abteilungsleiter:innen zu sprechen, um mich zu vernetzen – auch mit der Literaturszene. Ziel ist es, die Leute zu besuchen und sie nach ihrer Einschätzung zu befragen. Wie ist die Lage? Wie ist die Situation hier vor Ort? Was können wir noch tun? Schon in Essen habe ich eine Jugendbuchautorin kennengelernt, die damals davon schwärmte, dass es in Köln den Schreibraum gibt. Und genau das ist, denke ich, das, was viele Menschen brauchen: Räume für Begegnung, für gemeinsames Lernen, das gemeinsame Arbeiten und kreativ sein.. Das gilt für Besucher:innen und Veranstalter:innen ebenso wie für die Literaturschaffenden.  

Es finden ja immer wieder Veranstaltungen in der Stadtbibliothek statt, auch jetzt im Interimsgebäude. Gibt es Veranstaltungen, die Sie empfehlen können?

Wegen der aktuellen Haushaltslage sind wir momentan noch etwas ausgebremst. Einiges steht aber bereits fest, unter anderem unsere Teilnahme an der ersten bundesweiten Nacht der Bibliotheken am 4.4.: In diesem Rahmen präsentiert die Autorin und Comedienne Lara Ermer ihr unterhaltsames Buch „Alle gegen alle“ auf der Bühne im sprachraum am Josef-Haubrich-Hof. Am 20.5. stellt dort die Germania Judaica – Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentums e.V. die Übersetzung des autobiographischen Romans „Mein verdorbenes Blut oder Streuselkuchen nach schlesischer Art“ von Hubert C. Küter im Gespräch mit der Verlegerin vor. Und tags drauf, am 21.5., feiert das Festival „Anderland – ein Ort der Poesie“, das die Buchhandlung Bittner gemeinsam mit dem Literatur-in-Köln-Archiv und dem Institut für Deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln organisiert, seine 5. Ausgabe. Im Mittelpunkt wird Jürgen Beckers Lyrik stehen. Zum Gedenken an 80 Jahre Befreiung und Kriegsende laden das Heinrich-Böll-Archiv in Kooperation mit der Erbengemeinschaft Heinrich Böll und der Heinrich-Böll-Stiftung am 27.5. ebenfalls in den sprachraum ein zur Veranstaltung „Heinrich Böll – ‚Erinnerung ist unsere Aufgabe…‘“. Am 10.7. nähern wir uns dann einem schwierigen Thema an: „Wenn ein Kind stirbt“ ist der Abend überschrieben, an dem der Autor des Buchs „Für immer seh ich Dich wieder“, Yannic Han Biao Federer mit dem Psychologen Felix Meindl und Moderatorin Jana Forkel spricht. Darüber hinaus hatten wir beispielsweise auch gerade ein erstes Planungstreffen zum MINT-Festival, das wieder in den Herbstferien stattfinden soll. Wir warten aktuell noch darauf, dass der vorläufige Haushalt von der Bezirksregierung genehmigt wird, um hier so richtig loslegen zu können. 

Wir sind gespannt. Vielen Dank für das Gespräch, Anja Flicker!